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Bullenball

Bullenball

Titel: Bullenball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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Tim
unvermittelt: »Sollen wir zur Lagerhalle fahren?«
    Ben war perplex. »Jetzt?«
    »Warum nicht? Oder willst du lieber ins Bett?«
    »Nein, natürlich nicht.« Tim hatte Ben vor ein paar Tagen angeboten,
ihn einmal mitzunehmen. Doch Ben hatte nicht damit gerechnet, dass er sein
Versprechen tatsächlich einhalten würde, schon gar nicht mitten in der Nacht.
    »Meinetwegen«, sagte Ben und schnappte sich seine Jacke. »Ich bin
dabei.«
    Sie fuhren mit Tims Wagen, einem tiefergelegten Golf, der nicht so
aussah, als würde er den nächsten TÜV überstehen. Während der Fahrt
sprachen sie kaum ein Wort miteinander, doch das störte Ben nicht. Er
betrachtete die vorbeiziehende Stadt.
    Tim hatte die Stirn in tiefe Falten gelegt, klammerte sich ans
Lenkrad und starrte auf die Fahrspur. Irgendetwas musste vorgefallen sein, doch
Ben wollte ihn besser nicht darauf ansprechen.
    Sie ließen die Stadt hinter sich, nahmen eine unscheinbare Ausfahrt
und erreichten kurz darauf das verlassene Fabrikgelände. Hier gab es niemanden,
der sie hören konnte, weit und breit keine Menschenseele. Sie betraten die
Halle durch ein eingeschlagenes Fenster. Scherben und abgefallener Putz lagen
herum, doch im Licht der Taschenlampe war nicht viel zu erkennen.
    Tim hockte sich neben einen Scheinwerfer, der auf dem nackten
Betonboden lag, und fummelte daran herum. Im nächsten Moment flammte ein
grelles Licht auf, das riesige Schatten an die Hallenwand warf. Seine
Bewegungen erschufen ein Ungeheuer, mit baumlangen Armen und einem monströsen
Schädel.
    »Komm her«, rief er. »Ich zeig dir meine Schätze.«
    Er öffnete einen Koffer, der zwei kleinkalibrige Handfeuerwaffen
sowie massenweise Munition enthielt. Tim zog eine Pistole hervor, wog sie
prüfend in der Hand und reichte sie schließlich Ben.
    »Hier. Nimm die.«
    Ben zögerte, dann nahm er sie ehrfürchtig entgegen. So etwas hatte
er noch niemals in der Hand gehalten. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Die
Waffe fühlte sich kalt und schwer und gefährlich an.
    »Keine Angst, sie ist nicht geladen«, erklärte Tim.
    Er durchquerte die Halle und stellte ein paar zerbeulte Blechdosen
auf eine von Einschusslöchern übersäte Mauer. Ben hielt die Pistole in
respektvollem Abstand zu seinem Körper. Er konnte den Blick kaum von ihr abwenden.
Wie diese Waffen in seinen Besitz gelangt waren, hatte Tim nicht verraten.
Sicher nicht auf legale Weise.
    »Also, jetzt pass mal auf«, sagte Tim und nahm ihm die Waffe ab.
»Ich zeig dir, wie es geht.«
    Er lud die Pistole und erklärte Ben, wie er sie betätigen musste.
Ben betrachtete die Waffe in seiner Hand.
    »Was ist?«, fragte Tim und lachte. »Hast du etwa Schiss?«
    »Nein, natürlich nicht.«
    »Na los! Dann schieß!«
    »Also gut.«
    Ben hob die Waffe und zielte auf eine der Bierdosen. Er rief sich in
Erinnerung, was Tim ihm übers Schießen gesagt hatte. Dann atmete er durch und
gab seinen ersten Schuss ab.
    Ich hasse diese ganze verlogene Scheiße. Ich hasse euch alle. Guckt
euch euer Leben doch nur an. Mit euren Jobs in Banken, Versicherungen und
Konzernen. Ihr rennt rum wie aufgezogene Spielzeugfiguren und arbeitet und
arbeitet und arbeitet – und wozu das Ganze? Doch nur, um den Profit für eure
Bosse zu steigern. Um die Schwachen auf der Welt auszubeuten und die Natur in
großem Stil zu zerstören. Na, bravo. Wie die Ameisen wuselt ihr herum und
schafft es jeden Tag aufs Neue, die Welt zu vergewaltigen.
    Danach geht’s ins Fitnessstudio, am liebsten fahrt ihr mit euren
fetten 17-Liter-Schlitten, in denen man gar nicht merkt, wenn man eine Katze
überfährt. Oder ihr lasst euch die Zähne bleachen und das Fett absaugen. Damit
ihr in euren beschissenen Clubs auch ordentlich ausseht, wenn ihr vollgekokst
auf den Toiletten rumfickt.
    Ihr kotzt mich alle an. Kein Einziger von euch empfindet auch nur
annähernd so etwas wie Freundschaft oder Mitgefühl. Arbeiten, ficken, Profit
einstreichen und nach unten treten. Das war’s auch schon.
    Mal ehrlich: Stellt ihr euch so das Leben vor? Wie haltet ihr das
aus? Wie ertragt ihr nur eure eigenen hässlichen Spiegelbilder?
    Ich sage euch: Manchmal träume ich davon, einen riesigen Feuerball
über die Erde zu schicken, gelenkt allein durch meine Willenskraft. Ein
loderndes Feuer, das alles verbrennt, alles tilgt. Das euch auslöscht,
ausradiert, in wenigen Sekunden verglühen lässt.
    Dann bleibt nur verbrannte Erde. Doch das ist gut, denn daraus kann
was Neues entstehen. Liebe. Mitgefühl.

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