Bullenball
die Polonaise an. Es ging kreuz
und quer durch den Saal. Jules Wangen leuchteten, und ihre Frisur war ein
bisschen verrutscht von dem Bad in der Menge. In ihrem hellen Kleid sah sie aus
wie ein Kommunionskind, fand Marie. Wie ein kleines Mädchen, das noch gar nicht
geschlechtsreif war. Sah Jonas das denn nicht? Wie konnte er so verliebt
wirken?
Marlon folgte ihrem Blick und stieß ihr freundschaftlich in die
Seite. »Und was macht bei dir die Liebe?«
Sie schrak zusammen. Sah ihn prüfend an, doch es hatte den Anschein,
als würde er mit seiner Frage nichts bezwecken wollen. Er weiß nichts über dich
und Jonas, beruhige dich. Es ist Marlon, der nette Loser vom Mischpult. Was
soll der auch schon wissen?
»Bei mir? Da ist nichts zu holen, das kannst du mir glauben.« Sie
versuchte sich an einem schiefen Grinsen.
»Tja, was soll man machen?« Er nahm einen Schluck Bier und ließ
seinen Blick über die Menge schweifen.
Marie zögerte. Sie betrachtete Marlon eingehend. »Ehrlich gesagt ist
da doch jemand«, sagte sie schließlich.
»Ach ja? Aber ich bin es wohl nicht, oder?«, erkundigte sich Marlon
mit einem ironischen Funkeln in den Augen.
Sie lachte. »Nein. Tut mir leid, Marlon.«
Er hob theatralisch die Arme. »Schade, aber was soll’s. Und wer ist
es, wenn man fragen darf?«
»Ist doch nicht so wichtig, oder?«
»Er weiß also gar nichts davon?«
»Also, na ja … Ich meine …«
»Schon gut. Ist ja nicht schlimm.« Er wirkte immer noch ironisch.
»Bei mir erfährt es eine Frau auch nie, wenn ich mich in sie verliebt habe.«
Marie war etwas verwirrt über dieses Geständnis, von dem sie nicht
wusste, ob es nur ein Scherz war oder mehr dahintersteckte. Im nächsten Moment
begann Marlon zu lachen. »Vergiss, was ich gesagt habe. Ich glaube, ich habe zu
viel getrunken.«
Sie redeten noch eine Weile über ihren Auftritt auf dem Weinfest und
beleuchteten alles, was dabei schiefgelaufen war. Irgendwann hatte Marlon seine
Bierflasche geleert und machte Anstalten, zu seinem Tisch zurückzukehren. Bevor
er verschwand, sah er sie wieder auf eine Weise an, die sie nicht ganz
einordnen konnte.
»Sag es ihm, Marie. Glaub mir, das ist das Beste.«
»Also gut«, erwiderte sie erstaunt. »Das werde ich tun.«
Er lächelte aufmunternd und ließ sie allein am Tresen zurück.
Marie kratzte nervös am Etikett der Bierflasche. Sollte sie es
wirklich Jonas sagen? Aber wie? In ihrer Phantasie verschwand Jule immer wie
durch ein Wunder. Jonas blieb allein zurück und würde plötzlich feststellen,
dass er die ganze Zeit über in Marie und nicht in Jule verliebt gewesen war.
Und dann würde alles gut werden.
Doch sollte sie ihn wirklich mit ihrer Liebe konfrontieren? Sie
horchte in sich hinein und kam zum Schluss: Nein, ganz egal was passierte, das
würde sie niemals tun.
Jule löste sich aus der Polonaise. Ihr war schwindelig. Die Hitze
nahm ihr den Atem. Sie brauchte dringend eine Pause. Jonas wollte ihr folgen,
wurde jedoch von seinen Freunden zurückgehalten. Mit einem Lachen gab er sich
geschlagen und schunkelte weiter. Sie bedeutete ihm, dass alles in Ordnung war,
und ging zurück zum Tisch. Von dort beobachtete sie das Treiben.
Es war ein wunderbarer Abend, schöner hätte sie ihn sich nicht vorstellen
können. Ganz zu Anfang hatte die Jazzband ein Ständchen gespielt, zuerst ein ABBA -Medley,
dann »Beyond the Sea«, den Song, bei dem sich Jule und Jonas das erste Mal
geküsst hatten.
Sie war satt und glücklich und erfüllt von der Schönheit des Abends.
Am Tresen entdeckte sie Marie, die sich mit Marlon, dem Tonmischer, unterhielt.
Seltsam. Jule hatte die beiden noch nie miteinander reden sehen. Trotzdem sah
es so aus, als läge eine gewisse Vertrautheit zwischen ihnen. Worüber sie wohl
sprachen?
Marie war ziemlich verblüfft gewesen, als Jule sie gebeten hatte,
ihre Trauzeugin zu werden. »Macht das denn nicht eine von deinen Schwestern?«,
war es aus ihr herausgeplatzt. »Ich möchte aber dich«, hatte Jule gesagt. »Du
bist meine älteste und beste Freundin. Natürlich gibt es andere, aber am
liebsten hätte ich dich!«
Was natürlich stimmte. Trotzdem. Es gab noch einen anderen Grund,
gestand sie sich beschämt ein, weshalb sie Marie als Trauzeugin wollte. Dieses
Manöver war gleichzeitig ein Test gewesen. Um herauszufinden, ob Marie sich
wirklich so sehr über Jules Hochzeit freute, wie sie vorgab. Leider war ihre
Reaktion widersprüchlich gewesen, und Jule hatte sie nicht so recht
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