Bullenhitze
Bauarbeiter betrachtete ein paar Augenblicke lang die Szenerie, dann drehte er sich um und wankte einige Schritte zurück.
»Was ist denn mit ihr? Ist ihr nicht gut?«, fragte er Liane Bötsch, die mit zwei weiteren Mitarbeiterinnen vor einem Stiefelregal stand, besorgt.
»Ich glaube, es geht ihr gar nicht gut, Herr Brandau.«
Aus dem kleinen Lager drang ein unterdrücktes Stöhnen. Brandau und die Frauen drehten sich um und sahen, wie der Arzt sich erhob und die Gummihandschuhe von den Fingern streifte.
»Das war’s«, erklärte er dem Rettungssanitäter mit resignierter Geste. Damit warf er die Handschuhe neben sich auf den Boden und betrat den Verkaufsraum. Frau Bötsch weinte nun hemmungslos.
»Es tut mir leid«, begann der Mediziner, »aber es war nichts mehr zu machen. Sie ist tot.«
Brandau schien noch immer nicht zu verstehen, was sich eigentlich abspielte.
»Sie sind der Ehemann?«, fragte der Arzt Brandau, bekam jedoch keine Antwort. Deshalb nickte Frau Bötsch heftig mit dem Kopf. »Ja, das ist ihr Mann.«
Horst Brandau sah von links nach rechts in die Runde, warf einen Blick auf die bewegungslosen Füße einen Raum weiter, und in diesem Moment dämmerte ihm, was passiert sein musste. »Das kann doch gar nicht sein. Sie kann doch nicht gestorben sein.«
»Doch, Herr Brandau, so leid es mir für Sie tut, aber Ihre Frau ist tot«, erklärte der Notfallmediziner. Brandau hörte ihm nicht zu, zumindest schien es so, sondern ging langsam zurück ins Lager. Dort kniete er sich neben seine tote Frau, zog ihren noch immer teilweise entkleideten Körper zu sich und umschlang sie. Ihre schlaffen Arme schleiften dabei über den Boden.
Eine Zeit lang später später befand sich Brandau noch immer in der gleichen Stellung. Um ihn herum waren die Sanitäter damit beschäftigt, die Geräte zu verpacken, den Müll aufzusammeln und anschließend die Koffer nach draußen zu schleppen. Der Notarzt trat hinter ihn und legte ihm vorsichtig die Hand auf die Schulter.
»Entschuldigen Sie, dass ich Sie stören muss, Herr Brandau, aber wir müssen weiter. Und es sind noch ein paar Formalitäten zu klären, bevor wir fahren.«
Der große, dicke Mann ließ seine tote Frau sanft zu Boden gleiten, nickte und stand auf.
»Ich habe hier den vorläufigen Totenschein«, erklärte der Mediziner. »Die Daten habe ich dem Personalausweis entnommen, den die Geschäftsführerin in der Tasche Ihrer verstorbenen Frau gefunden hat.«
Brandau senkte den Kopf und betrachtete seine Frau. »Wie geht es jetzt weiter? Nehmen Sie sie mit?«
»Nein, das dürfen wir nicht. Ich habe schon den Allgemeinmediziner verständigt, dessen Adresse auf der Quittung für die Praxisgebühr steht; auch die hatte Ihre Frau glücklicherweise in der Tasche. Er müsste in ein paar Minuten hier sein. Wenn er die Leichenschau vorgenommen hat, stellt er den Totenschein aus, dann kann der Leichnam abtransportiert werden. Damit müssten Sie einen Bestatter beauftragen.«
Brandau fuhr sich mit seiner schwieligen Pranke durchs Haar. »Und wo bekomme ich den her, heute, am Samstag und um diese Uhrzeit?«
»Das ist ganz einfach. Nahezu alle Bestatter haben einen Notdienst, der rund um die Uhr erreichbar ist. Wenn Sie im Branchenbuch nachsehen und sich vielleicht noch einen der drei großen aussuchen, sollte es keine Probleme geben.«
»Wer sind denn die drei großen?«
Der Arzt nannte die Namen von drei Bestattungsunternehmen.
»Wohlrabe hab ich schon mal gehört«, erwiderte Brandau.
»Gut, dann nehmen Sie den doch. Soll ich die Geschäftsführerin bitten, ihn zu benachrichtigen?«
Wieder betrachtete der Bauarbeiter den Leichnam. »Ja, bitte.«
Kurz nachdem der Notarzt mit seinen Leuten den Laden verlassen hatte, betrat ein etwa 50-jähriger, schlanker Mann mit grauen Haaren und einem großen Aluminiumkoffer in der Hand den Schuhladen und stellte sich als Dr. Horstmann vor. Er begrüßte freundlich die Anwesenden und kondolierte Brandau. »Ich habe den Notarzt noch kurz draußen im Wagen gesehen, er hat mich über alles informiert.«
Dann ließ er sich die Tote zeigen, bat darum, alleingelassen zu werden, zog den Vorhang zum Lager zu und begann mit der Untersuchung. Unterdessen hatte Liane Bötsch den Laden geschlossen und die übrige Belegschaft nach Hause geschickt. Auch der Menschenauflauf vor der Tür hatte sich aufgelöst.
»Möchten Sie einen Kaffee, Herr Brandau?«, fragte sie leise.
»Nein danke, ich will nichts trinken«, gab er
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