Bullenhitze
nicht abgenommen.
Das Zucken der Blaulichter am wolkenverhangenen Himmel war kilometerweit zu sehen. In Lenz’ Hals bildete sich schlagartig ein Kloß, der ihm die Luft abzuschnüren drohte. Mit zitternden Fingern schaltete er einen Gang zurück, trat das Gaspedal voll durch und trieb den neuen Motor zur Höchstleistung. Immer wieder versuchte der Polizist sich einzureden, dass das alles nur eine unglückliche Duplizität sein müsse, obwohl er sich innerlich sicher war, dass es nicht stimmte.
Die abgesperrte Unfallstelle lag auf der Gegenspur der A 49, etwa auf Höhe der Autobahnbrücke über die L 3221 zwischen Gudensberg und Besse. Lenz erkannte im Gewirr der Blaulichter die total zerstörten Überreste eines vermutlich blauen Lieferwagens und eine durchgeschlagene Leitplanke, etwa 50 Meter davon entfernt. Er verließ die Autobahn, parkte unter der Brücke, sprang aus dem Wagen und rannte los. Was er kurz danach im Gegenlicht des Lichtmastes sah, der die Szenerie erhellte, trieb ihm die Tränen in die Augen.
Marias silbernes Cabriolet lag auf dem Dach, das Stoffverdeck hing in Fetzen zu allen Seiten heraus; die A-Säule war abgeknickt bis zum Lenkrad. Der Vorderwagen war um einen guten Meter gekürzt.
»Sie können hier nicht durch«, wurde der Hauptkommissar von einem jungen Streifenpolizisten freundlich, aber bestimmt gebremst.
»Ich bin ein Kollege«, flüsterte Lenz, ohne den Blick von dem Autowrack zu lösen.
»Das kann ja jeder …«, versuchte der blau gekleidete Mann einzuwenden, doch ein einziger, im diffusen Licht eher zu erahnender als zu erkennender Blick ließ ihn verstummen. »Schon gut«, erklärte er. »Gehen Sie durch.«
Im Näherkommen sah Lenz die aufgestemmte Fahrertür von Marias Wagen und die Blutspuren auf dem Fahrersitz und dem Lenkrad. Er zog seinen Dienstausweis aus der Jacke, ging auf den nächsten Polizisten zu und hielt ihm die Karte unter die Nase.
»Lenz, Kripo Kassel. Was ist hier passiert?«
»Üble Sache, Herr Kommissar. Der Fahrer des Transporters oben auf der Bahn hat beim Überholen die Kontrolle über seine Karre verloren, vermutlich wegen eines geplatzten Reifens. Dabei hat er das Auto da drüben nach rechts abgedrängt und durch die Leitplanke geschickt.«
Lenz schluckte deutlich sichtbar.
»Danach«, fuhr der Polizist fort, »hat er sich mehrfach überschlagen. Beide Insassen, ein Mann und eine Frau, waren nicht angeschnallt und wurden herausgeschleudert. Sie war sofort tot, er ist im Krankenwagen gestorben.«
Er deutete auf die Überreste von Marias Cabriolet.
»Die Frau, die in dem Wagen saß, ist ebenfalls tot, ich hab es vorhin über Funk gehört. Sie ist im Krankenhaus gestorben. Aber wenn man sich das Wrack so ansieht, ist es verwunderlich, dass sie es überhaupt bis dorthin geschafft hat, oder?«
Lenz wollte seinen Dienstausweis in die Jacke zurückschieben, verfehlte jedoch die Innentasche. Die kleine grüne Karte fiel auf den Boden. Sein uniformierter Kollege bückte sich, griff nach dem Dokument, und reichte es dem Kommissar.
»Danke«, murmelte Lenz abwesend.
»Wollen Sie rübergehen, sich ein wenig umsehen? Ihre Kollegen aus Homberg sind natürlich schon da.«
Ohne ihm zu antworten, drehte Lenz sich um, presste die Zähne aufeinander und hatte dabei das Gefühl, in einem sehr, sehr bösen Traum gelandet zu sein, aus dem er nicht aufwachen konnte. Während er langsam und verstört auf seinen Wagen zuging, liefen dicke Tränen über sein Gesicht.
Zwei Minuten später saß er wie ein Zombie hinter dem Lenkrad, wendete, und fuhr Richtung Gudensberg. Ohne Ziel rollte er durch den Ort, wurde vom Fernlicht eines entgegenkommenden Fahrzeugs geblendet, steuerte eine Bushaltestelle an, schaltete den Motor aus und ließ sich vornüber auf den Lenkradkranz fallen. Gedanken und Bilder rasten durch seinen Kopf, kamen, gingen, und ließen sich doch nicht fassen. Er sah vor seinem geistigen Auge Marias Lachen, und im gleichen Moment kippte das Bild. Nun tauchte ihr total zerstörter Wagen auf und die Worte des Streifenpolizisten jagten durch sein Gehirn. ›… ich hab es vorhin über Funk gehört. Sie ist im Krankenhaus gestorben.‹
Der Kommissar griff zum Telefon und drückte die Kurzwahltaste seines Freundes und Kollegen Uwe Wagner. Er musste mit jemandem sprechen. Musste jemandem, der von seinem Verhältnis zur Frau des Kasseler Oberbürgermeisters wusste, erzählen, was passiert war.
Als die Leitung stand, wurde er sofort zu Wagners
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