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Burgfrieden

Burgfrieden

Titel: Burgfrieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Neureiter
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blockte er blitzschnell mit der Linken ab und versuchte seinerseits, dem Gegner die Rechte in den Magen zu rammen.
    In dem Moment sah Tina Mordreds triumphierenden Gesichtsausdruck. Schon war er der versuchten Attacke ausgewichen, mit der freien Linken versetzte er dem Gegner einen Schlag ins Gesicht. Lukas hielt sich die Hand davor, unter der im nächsten Moment Blut hervorquoll. Er torkelte noch ein paar Schritte rückwärts, lehnte sich an eine der Tischkanten und ließ sich daran im Zeitlupentempo zu Boden gleiten.
     
    Alle hatten die Auseinandersetzung wie gelähmt verfolgt. Jetzt sprangen sie von ihren Sitzen auf, schoben die Stühle zurück und scharten sich um die Kampfhähne. Francesca Rossi war die Erste, die sich neben Lukas niederkniete, seinen Kopf zurückbog und ihm ihr blütenweißes Taschentuch unter die Nase hielt. Als nächstes nahm Tina Jenny wahr, die ihr einen Arm um die Taille legte und sie sanft auf einen Sessel drückte. Sie musste wohl leichenblass geworden sein. Kein Wunder, sie wusste ja, dass sie kein Blut sehen konnte.
    Was dann passierte, nahm sie nur mehr wie durch einen Filter und in abgehackten Sequenzen wahr. Zuerst ging Professor Kammelbach von hinten auf Mordred zu und packte ihn an der Schulter, so als wolle er ihn wegziehen. Doch der entzog sich sofort wieder dem Griff seines Onkels und setzte zum Sprung an. Das nächste, was sie sah, war Mordred, wie er breitbeinig auf einem der Tische stand, mit der Faust etwas umklammerte und es durch die Luft schwenkte.
    »Mein Gott, die Handschrift«, ließ einer sich vernehmen. Tina vermeinte, die Stimme des Burgdirektors zu erkennen. Jetzt trat der Professor vor den Tisch, auf dem sein Neffe nach wie vor wie irre seine Trophäe schwenkte.
    »Mordred, es reicht. Gib mir das Papier.« Arthur Kammelbachs Worte schienen Wunder gewirkt zu haben. Wie in Trance ließ Mordred sich vom Tisch gleiten und händigte seinem Onkel die Rolle widerstandslos aus.
    Dieser legte sie vorsichtig auf den Tisch, entfaltete sie und beugte sich über die Seiten.
    »Es ist zu dunkel, ich kann nichts erkennen.« Plötzlich hatte Francesca eine Öllampe in der Hand und hielt sie über das Manuskript. Im selben Augenblick sah Tina das blutgetränkte Taschentuch, das Frau Minne Lukas an die Nase gehalten hatte, auf dem Boden liegen. Dann wurde ihr schwarz vor Augen.

Drei
     
    Vor dem Waschbeckenspiegel zog Jenny Sommer ihr linkes Unterlied ein wenig tiefer. Mit der rechten Hand drückte sie die Kontaktlinse auf den Augapfel. Geschafft. Auch nach so vielen Jahren war das Einsetzen jedes Mal ein Hasardspiel mit ungewissem Ausgang. Nie konnte man vorher wissen, ob man die Pupille richtig traf. Wenn das nicht gelang, musste man die winzigen Sehhilfen noch einmal herausnehmen und die ganze Prozedur von vorne beginnen. Oder man riskierte, dass man bei jedem Lidschlag ein unangenehmes Kratzen verspürte.
     
    Jenny blinzelte sich noch einmal zu. Alles in Ordnung, zumindest, was den Sitz ihrer Kontaktlinsen betraf. Ansonsten schien die Reise unter keinem guten Stern zu stehen. Was war das gestern für ein Wirbel gewesen! Zuerst die Schlägerei, ein Verletzter, eine Ohnmächtige und der bizarre Auftritt Mordreds. Glücklicherweise – sofern man hier überhaupt von Glück reden konnte – entpuppte sich das, was sie ursprünglich für die wiederentdeckte Handschrift gehalten hatten, als schlechtgemachtes Imitat.
    Im schummrigen Licht der Burgschänke dauerte es allerdings länger als ein paar Schrecksekunden, bis sie den Schwindel entdeckten. Erst nachdem Francesca geistesgegenwärtig eine Öllampe aus einer der Mauernischen geholt und sie über das Manuskript gehalten hatte, konnte man erkennen, dass es sich nicht um den originalen Fund, sondern lediglich um eine Computersimulation handelte, die allerdings den Aufzeichnungen, wie man sie aus den großen Liederhandschriften kannte, verblüffend ähnlich sah. Mordred musste sie schon vor der Reise angefertigt haben, zu welchem Zweck war bisher ungeklärt geblieben, aber sicherlich zu keinem guten. So viel stand für Jenny zweifelsfrei fest.
     
    Auch Arthur Kammelbach und Blasius Botsch schienen davon auszugehen, dass Mordred irgendetwas im Schilde führte, wie sie aus einer halblauten Unterredung der beiden aufgeschnappt hatte. Darin hatte der Burgdirektor noch einmal bekräftigt, dass die Handschrift in der Burg so sicher sei wie die Goldreserven in Fort Knox. Der Professor wiederum hatte sich für das Verhalten der beiden

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