Burgfrieden
hervorkehrte.
Umso mehr hatte es sie dann überrascht, als er ihr im Zuge der Vorbereitungen für die Studienreise höflich und korrekt begegnet war. Er hatte sogar angeboten, ihnen allen Mopeds zu besorgen, damit sie in Bozen auf eigene Faust, wie er meinte, etwas unternehmen könnten. Tina hatte zugestimmt, bei der Ankunft aber doch feststellen müssen, dass nur zwei anstelle der drei versprochenen Vespas zur Verfügung standen. »Ein Lieferengpass«, hatte Mordred gemeint. Wenn das nicht wieder einer seiner Tricks war. Alles in allem hatten sie sich bisher jedoch recht gut vertragen. Auch der sonst so zurückhaltende Lukas war ihr gegenüber etwas aufgetaut. Der war offenbar auch der Grund, warum Mordred sich jetzt wieder aufspielte. Sie hatte sich heute Abend offenbar zu intensiv mit Lukas unterhalten.
Was er ihr erzählte, hatte ihr Interesse geweckt: Dass seine Eltern, ein erfolgreicher Arzt und eine leidenschaftliche Kunsthistorikerin, sich wenig um den Jungen gekümmert und ihn bald in ein Internat gesteckt hatten. Dort war er jahrelang von den meist kräftigeren Mitschülern verprügelt worden, bis Mordred ihn unter seine Fittiche genommen hatte. Von da an wagte keiner mehr, dem schmächtigen Lukas auch nur ein Haar zu krümmen. Aber Mordreds Freundschaft hatte offenbar ihren Preis gehabt: Zwar hätte Lukas nach der Matura gerne in Wien Kunst studiert. Doch der andere hatte ihm das mit allen Mitteln ausgeredet. Welche Mittel das waren, darauf ging Lukas nicht näher ein. Aber Tina konnte sich schon vorstellen, dass Mordred, der unbedingt – um seines Onkels und großen Vorbildes Professor Kammelbach willen, wie er behauptete – Germanistik studieren wollte, den Freund so lange unter Druck gesetzt hatte, bis dieser nachgab. Das ungefähr hatte Lukas, der zu Tinas Linker saß, ihre heute Abend erzählt. Nicht ganz so ausführlich vielleicht, manches auch nur andeutungsweise, doch sie konnte sich ihren Reim darauf machen. Wenn ihr bloß Mordred an ihrer anderen Seite nicht ständig hineingepfuscht hätte. Einmal berührte er wie zufällig ihr Knie mit dem seinen, dann wieder zupfte er sie scheinbar neckisch am Ohrläppchen, und so ging es fort. Dass er dem St. Magdalener, einem süffigen Rotwein aus dem gleichnamigen Anbaugebiet bei Bozen, kräftig zugesprochen hatte, schien ihn noch zu beflügeln. Tina hatte alle Hände voll zu tun gehabt, die von Mordred abzuwehren, während sie gleichzeitig Lukas ermunterte, seinen nur stockend vorgebrachten Bericht fortzusetzen.
Schon wieder! Jetzt legte ihr Mordred auch noch die Hand in den Nacken und begann diesen besitzergreifend zu kraulen. Tina konzentrierte sich: Im nächsten Moment wollte sie ihren Kopf ruckartig nach hinten bewegen und den Angreifer wie ein lästiges Insekt abschütteln. In dem Augenblick sah sie, wie Lukas über ihre linke Schulter hinweg Mordreds Hand packte und diese nach hinten riss. Es dauerte nicht einmal eine Schrecksekunde lang, bis der aufsprang und sich vor Lukas aufpflanzte.
»Hast dir heute wohl Mut angetrunken, mein Freund?« Mordreds Stimme zerschnitt die Tischgespräche, die eben noch in vollem Gang gewesen waren. Langsam erhob sich Lukas von seinem Stuhl. Jetzt war er auf Augenhöhe mit seinem Herausforderer.
»Wenn hier einer zu viel getrunken hat, dann bist du das. Lass endlich die Finger von Tina.«
Mordred fixierte Lukas mit einem Blick, der nichts Gutes verhieß. »Willst also den großen Macker hervorkehren. Pass bloß auf, dass du dir keine blutige Nase holst.« Mit diesen Worten packte er seinen Widersacher an dessen Hemdkragen und zerrte ihn vom Tisch weg, so dass die beiden nun auf einer freien, quadratischen Fläche in der Größe eines Boxrings zu stehen kamen.
»Jetzt hört’s aber auf, ihr zwei.« Tina hatte sich von ihrem ersten Schrecken erholt. Sie musste die beiden zur Vernunft bringen. Lukas war zwar gleich groß wie Mordred, aber wesentlich feingliedriger. Gegen dessen offenbar durch hartes Training gestählte Muskeln hätte er keine Chance.
Aber keiner der beiden hörte auf sie. Noch stand Lukas zwar im Raum, ohne aktiv eine Kampfhandlung zu setzen. Aber der andere legte es offenbar darauf an, ihn aus der Reserve zu locken. Mit geballten Fäusten jumpte Mordred vor und zurück, ließ immer wieder seine gestreckte Rechte vorschnellen, bisher noch ohne direkten Körperkontakt. Jetzt allerdings schien Lukas die Geduld zu verlieren. Als Mordred sich das nächste Mal mit der Faust Lukas’ Gesicht näherte,
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