Butter bei die Fische: Ein Ostfriesen-Krimi (Piper Taschenbuch) (German Edition)
Montagmorgen, steifer Nacken, leerer Magen – es war nicht schön. Außerdem hatte er immer noch das Gespräch mit Brotmeier im Kopf. Und nun als Krönung das Schiff. Es hing gegenüber an der weiß verputzten Wand. Schwere See, geblähte Segel, Gischt, dräuender Horizont … ungefähr so. Der Maler, der definitiv zur Amateurfraktion zählte, hatte einen schweren goldenen Rahmen erstanden, und die Kollegen von der Polizeiinspektion Leer hatten sein Werk im Eingangsbereich angebracht. Nagel. Peng.
Im Grunde war das nicht weiter schlimm. Das Gemälde verlieh dem kargen Wartebereich mit der Bank, den Stühlen und dem abgeschabten Fliesenboden etwas Menschliches. Aber genau das war es auch, woran Elias sich störte. Dieses Bild hatte in seinen Augen etwas Umarmendes, Intimes. Es wirkte, als wollte es den Betrachter in eine Gruppe integrieren. Und das nervte ihn. Schon im Kindergarten und in der Schule hatte er seine Probleme mit Gruppen gehabt. Und Brotmeier hatte es ihm auch auf den Weg mitgegeben: »Sie sind kein Gruppenmensch, Schröder, das kriegen Sie nicht hin. Sie sind ein notorischer Einzelgänger.«
Mit einem unterdrückten Seufzer schaute Elias auf die Uhr, die über dem Glaskasten hing, in dem seine künftige Kollegin den Publikumsdienst versah. Es war fünf vor neun. Er wartete bereits seit fünfunddreißig Minuten. Verstohlen beobachtete er die Polizistin. Sie sah nett aus. Jung, blonde Haare im Zopfgummi, mit Haarklemmen gebändigt. Gerade eben verzweifelte sie an ihrem Computer. Er hörte, wie ihr ein »Verdoomt noch mal!«entschlüpfte. Wahrscheinlich füllte sie ein Formular aus. Dass sie dabei »Verdoomt noch mal!«sagte, machte sie ihm sympathisch. Er mochte Formulare auch nicht. Sie hob den Kopf und lächelte ihn an. Er lächelte zurück.
Dann wanderte sein Blick wieder zum Bild und schließlich zu der Bank darunter. Dort saß eine Frau mittleren Alters mit einem Jungen. Sie hatte schon gewartet, als er angekommen war. Jetzt stand sie auf, ging zur Pferdeschwanzpolizistin und sagte etwas. Allerdings auf Platt, deshalb verstand er kein Wort. Was hatten die sich in Hannover nur dabei gedacht, ihn in einen Winkel der Welt zu versetzen, wo er sich nur mithilfe eines Dolmetschers verständigen konnte? War das Brotmeiers Rache für all die Formulare gewesen, die Elias ihm zu spät oder gar nicht auf den Schreibtisch gelegt hatte? Schicken wir den Saukerl sprachlich in die Wüste! Brotmeier war das zuzutrauen.
Das Mädchen hinterm Tresen erhob sich und sagte: »Mensch, Frau Coordes, ich verstehe Sie ja, aber leider ist der zuständige Kollege vom Einbruchsdezernat noch immer nicht im Haus. Wenn er kommt …«
»Bucklig«, schnitt die Frau ihr das Wort ab. Die beiden sprachen hochdeutsch miteinander. Vielleicht war das auf Ämtern üblich. Elias schöpfte Hoffnung. Frau Coordes hatte krause, blonde Haare, die sie in ein Stirnband geklemmt hatte. Dazu trug sie eine beige, wattierte Steppjacke, die aussah wie vom Flohmarkt. Für das momentane Wetter – es war Anfang April und ziemlich warm – war sie viel zu dick angezogen. »Ein buckliges Männlein!«, erläuterte sie.
»Ich weiß, ich habe das aufgeschrieben.«
»Wo?«
Die Polizistin deutete auf den Computer. Frau Coordes schob den Kopf durch das Loch im Trennglas und beäugte misstrauisch das Gerät, als überlegte sie, ob sie veräppelt würde. »Er war bucklig und ist erst in mein Zimmer gekommen und dann zu Steffi rüber«, erklärte sie.
»Das hab ich in der Anzeige notiert. Bucklig. Ins Zimmer. Sonst wissen Sie aber nichts?«
»Und schwarz.«
»Das nehme ich noch auf. Meinen Sie seine Kleidung? Also was er anhatte? Oder ist das der ethnische Hintergrund?«
»Was?«
»Wohl die Kleidung, hm?«
Die Frau nickte energisch, stieß sich den Kopf und zog ihn wieder auf ihre Seite der Glasabtrennung.
»Wollen Sie vielleicht einen Tee?«
»Nee.« Frau Coordes sah der Polizistin in dem kurzärmligen, weißen Hemd beim Tippen zu. Der Tee, den man ihr angeboten hatte, blubberte in einem Teekocher, der sich alle paar Minuten abschaltete und dann wieder ansprang.
Elias blickte erneut auf die Uhr. Viertel nach neun. Dann wanderte sein Blick zu dem Jungen, der die Frau in die Polizeiinspektion begleitet hatte. Es war ein spilleriger Kerl, etwa zwölf Jahre alt, mit einem blassen, runden Gesicht, in dem eine Schürfwunde verheilte. Abgewetzte Jeans, ein T -Shirt, auf dem ein bulliger Roboter mit einer Art Antenne auf dem Kopf zu sehen war. Im
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