Byrne & Balzano 02 - Mefisto
Schwäche.
Ich denke an John Gavin und Janet Leigh.
In meiner Rolle eines Mannes aus dem Mittleren Westen habe ich das Zimmer heute Morgen im Voraus bezahlt. Jeff Daniels in Zeit der Zärtlichkeit.
Jetzt höre ich das Wasser in der Dusche im Badezimmer rauschen. Ich atme tief durch und ziehe den kleinen Koffer unter dem Bett hervor. Ich streife das Hauskleid aus Baumwolle über, setze die graue Perücke auf und schlüpfe in die flauschige Strickjacke. Als ich die Jacke zuknöpfe, werfe ich einen flüchtigen Blick in den Schrankspiegel. Traurig. Ich werde niemals eine attraktive Frau sein, nicht einmal eine alte Frau.
Doch die Täuschung ist perfekt. Und das allein zählt.
Sie singt den Song einer bekannten Sängerin. Ihre Stimme ist eigentlich ganz angenehm.
Der Dampf aus der Dusche dringt durch die Ritze unter der Badezimmertür: lange, dünne, winkende Finger. Ich nehme das Messer in die Hand und folge dem Ruf. Meine Rolle zu spielen. Ruhm zu erlangen.
Eine Legende zu werden.
2.
Vor dem Vibe-Club ging der Cadillac Escalade mit der Geschwindigkeit herunter: ein glatter, glänzender Hai im verschwommenen Neonlicht. Die dumpfen Bassklänge von Climbing Up the Ladder von den Isley Brothers ließen die Fenster des Geländewagens klirren, als er hielt. Auf den Rauchglasscheiben brach sich die glänzende Palette roter, blauer und gelber Farben der Nacht.
Es war Mitte Juli und so heiß, dass nicht nur die Menschen, sondern auch die Stadt zu schwitzen schien. Die Hitze kroch wie eine Embolie unter die Haut Philadelphias.
In der Nähe des Eingangs zum Vibe-Club, an der Ecke Kensington und Allegheny Street, stand unter dem Stahlhimmel der überirdisch verlaufenden U-Bahn eine hochgewachsene Rothaarige wie eine Statue. Das lange kastanienrote Haar zierte ihre nackten Schultern wie ein seidener Wasserfall, ehe die Haarpracht auf den Rücken fiel. Sie trug ein kurzes schwarzes Kleid mit Spaghettiträgern, das ihre Kurven betonte, und lange Kristallohrringe. Ihre leicht gebräunte Haut schimmerte unter einer dünnen Schweißschicht.
Zu dieser Stunde und an diesem Ort war sie eine Chimära, eine fleischgewordene städtische Fantasie.
Im Eingang eines Schuhmachergeschäfts ein paar Schritte entfernt hatte es sich ein schwarzer Obdachloser bequem gemacht. Der Mann, dessen Alter man kaum einschätzen konnte, trug trotz der unbarmherzigen Hitze einen zerfetzten Wollmantel und streichelte liebevoll eine fast leere Flasche Orangensaft. Er presste sie an seine Brust, als würde er ein schlafendes Kind wiegen. Neben ihm wartete sein Einkaufswagen wie ein verlässlicher Partner, der von wertvollem Plunder überquoll, der ihm in der Stadt dienlich sein könnte.
Es war kurz nach zwei Uhr, als die Tür des Chevrolet aufschwang und eine dicke Rauschgiftwolke in die schwüle Luft stieg. Der Mann, der anschließend erschien, glich einem Riesen, der allein durch seine Anwesenheit etwas Bedrohliches ausstrahlte. Die Ärmel seines königsblauen Zweireihers aus Leinen spannten sich über den dicken Muskeln. D'Shante Jackson hatte einst als Stürmerstar der Baseballmannschaft seiner Highschool in Nord-Philadelphia gespielt. Der kaum dreißigjährige, fast zwei Meter große Muskelprotz brachte mehr als hundertzehn Kilo auf die Waage.
D'Shante schaute die Kensington rauf und runter. Da er die Lage für unbedenklich hielt, öffnete er den hinteren Wagenschlag des Escalade. Sein Arbeitgeber stieg aus – der Mann, der ihm tausend Dollar die Woche für den Schutz seines Lebens zahlte.
Trey ›TNT‹ Tarver war Mitte vierzig, ein Schwarzer mit heller Haut, dessen Bewegungen trotz seines stetig zunehmenden Körperumfangs eine geschmeidige Anmut anhaftete. Bei einer Größe von knapp einsneunzig hatte er die Einhundert-Kilo-Marke schon vor Jahren erreicht und überschritten. Aufgrund seiner Schwäche für Brotauflauf und Riesensandwiches drohte er weiter zuzunehmen. Er trug einen schwarzen Anzug von Hugo Boss mit drei Knöpfen und ein Paar kalbslederne Mezlan-Oxfords. An beiden Händen prangten Brillantringe.
Er trat vom Wagen zurück und schlug mit dem Handrücken über die Falten seiner Hose. Dann strich er sich übers Haar, das er im Snoop-Dogg-Stil lang trug, obwohl das Alter für modische Hip-Hop-Haarschnitte mindestens zwanzig Jahre hinter ihm lag.
Trey Tarver streckte die Arme nach vorn und ließ den Blick über die Kreuzung gleiten, sein Jagdrevier. Diese K-&-A-Kreuzung, wie sie auch genannt wurde, hatte viele Herren gehabt, aber
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