Byrne & Balzano 02 - Mefisto
Muskelkater erinnerte sie daran, wie sehr sie es vernachlässigt hatte.
Heute stieg sie zum ersten Mal seit Monaten in den Ring.
Als sie zwischen den Seilen hindurch in den Ring kroch, dachte sie über ihr Leben nach. Vincent war zurück in die gemeinsame Wohnung gezogen. Sophie hatte aus Pappe ein Willkommensschild gebastelt, das der Parade am Veterans Day alle Ehre gemacht hätte. Vincent wurde im Hause Balzano eine Probezeit auferlegt, und Jessica ließ es ihn spüren. Bisher benahm er sich wie ein mustergültiger Ehemann.
Jessica wusste, dass draußen Reporter auf sie warteten. Sie hatten ihr in die Sporthalle folgen wollen, aber diesen Ort konnte man nicht so einfach betreten. Zwei junge Typen, die hier trainierten – Zwillingsbrüder in der Schwergewichtsklasse, die beide hundertzehn Kilo auf die Waage brachten – hatten sie freundlich überzeugt, draußen zu warten.
Jessicas Sparringspartnerin war ein Mädchen aus Tioga, ein zwanzigjähriges Energiebündel namens Tracy ›Bigg Time‹ Biggs. Bigg Time hatte von zwei offiziellen Kämpfen zwei durch K.o. gewonnen, beide in den ersten dreißig Sekunden des Kampfes.
Jessicas großartiger Onkel Vittorio – selbst ein ehemaliger Boxer im Schwergewicht, der sogar von sich behaupten konnte, einst Benny Briscoe zu Boden gestreckt zu haben, und dann auch noch im McGillin's Ale House – war ihr Trainer.
»Pack sie nicht so hart an«, sagte Vittorio. Er setzte ihr den Kopfschutz auf und befestigte ihn unter dem Kinn.
Wie bittet, dachte Jessica. Das Mädchen war gebaut wie Sonny Liston.
Als Jessica auf den Gong wartete, dachte sie an das, was in dem dunklen Raum geschehen war und an die im Bruchteil einer Sekunde getroffene Entscheidung, die einem Menschen das Leben nahm. Einen kurzen Augenblick hatte sie an diesem furchtbaren Ort an sich selbst gezweifelt, als eine entsetzliche Angst Besitz von ihr ergriffen hatte. Vermutlich würde es immer so sein.
Der Gong erklang.
Jessica tänzelte vor und täuschte einen rechten Haken an. Kaum sichtbar, beinahe unauffällig, nur eine leichte Bewegung der rechten Schulter, die einem ungeübten Auge hätte entgehen können.
Ihre Gegnerin zuckte zusammen. Angst flackerte in ihren Augen.
›Bigg Time‹ Biggs gehörte ihr.
Jessica lächelte und verpasste ihr einen linken Haken.
Ava Gardner, in der Tat.
Epilog
Er schrieb die letzten Sätze seines letzten Berichts. Er lehnte sich zurück und schaute auf das Formular. Wie viele dieser Berichte hatte er gesehen? Hunderte. Vielleicht Tausende.
Er erinnerte sich an seinen ersten Fall in der Mordkommission. Ein Mordfall, der mit einem Ehestreit begann. Ein Ehepaar aus Tioga war sich beim Abwaschen in die Haare geraten. Offenbar hatte die Frau ein Stück angetrocknetes Eigelb auf einem Teller nicht weggespült und ihn so in den Schrank gestellt. Ironischerweise hatte der Ehemann sie mit der eisernen Bratpfanne zu Tode geprügelt, in der sie die Eier gebraten hatte.
Es war lange her.
Byrne zog das Blatt aus der Schreibmaschine und heftete es in die Akte. Sein letzter Bericht. Hatte er den gesamten Fall protokolliert? Nein. Alles stand nie in den Akten.
Er stand vom Stuhl auf und stellte fest, dass er im Rücken und in den Beinen kaum noch Schmerzen verspürte. Seit zwei Tagen hatte er keine Schmerztabletten mehr genommen. Er war noch nicht so weit, bei den Eagles mitzuspielen, aber er humpelte auch nicht mehr wie ein alter Mann.
Er stellte die Akte ins Regal und fragte sich, was er mit dem Rest des Tages anfangen würde. Mit dem Rest seines Lebens.
Er zog seinen Mantel an. Keine Blaskapelle, keine Transparente, kein Kuchen, kein billiger Sekt in Pappbechern. Natürlich würde es in den nächsten Monaten eine große Party im Finnigan's Wake geben, aber heute spielte sich hier nichts ab.
Könnte er all das zurücklassen? Den Ehrencodex des Kriegers, die Freude an der Schlacht. Würde er dieses Gebäude heute wirklich zum letzten Mal verlassen?
»Sind Sie Detective Byrne?«
Byrne drehte sich um. Ein junger Polizist hatte ihn angesprochen. Er war nicht älter als zwei- oder dreiundzwanzig. Er war groß, breitschultrig und so muskulös, wie es nur junge Männer sind. Er hatte dunkles Haar und dunkle Augen. Ein gut aussehender Bursche. »Ja.«
Der junge Mann reichte ihm die Hand. »Ich bin Officer Gennaro Malfi. Es ist eine Ehre, Sie kennen zu lernen, Sir. Ich wollte Ihnen einmal die Hand drücken«, sagte er. Sie reichten sich die Hände. Der junge Mann hatte einen festen
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