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Byrne & Balzano 1: Crucifix

Byrne & Balzano 1: Crucifix

Titel: Byrne & Balzano 1: Crucifix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Montanari
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prasselte und dessen Blut in den aufgerissenen Betonboden gespült wurde.
    Wenn er das hier meldete, wenn er den offiziellen Weg einhielt, war alles aus. Wie ein Film lief vor seinem geistigen Auge ab, was dann geschehen würde: Der Erkennungsdienst, die Kriminaltechnik, die Ermittler, der Staatsanwalt, die Voruntersuchungen, die Presse, die Anschuldigungen, die Hexenjagd in den eigenen Reihen, die offizielle Entlassung …
    Kalte, grenzenlose Angst kroch in ihm hoch. Er sah das spöttische Gesicht von Morris Blanchard.
    Das würde die Stadt ihm niemals verzeihen.
    Das würde die Stadt nicht vergessen.
    Byrne stand angetrunken, ohne Zeugen und ohne Partner, neben einem toten schwarzen Jugendlichen. Ein totes schwarzes Bandenmitglied, das mit einer Kugel aus seiner Dienstwaffe erschossen worden war, einer Waffe, über die er in diesem Augenblick keine Rechenschaft ablegen konnte. Für einen weißen Cop in Philadelphia konnte es keinen schlimmeren Albtraum geben.
    Aber jetzt hatte er keine Zeit, darüber nachzudenken.
    Obwohl er wusste, wie sinnlos es war, fühlte Byrne nach dem Puls des Jungen. Sein Herz schlug nicht mehr. Byrne zog seine Taschenlampe vom Gürtel, legte eine Hand über den Lichtstrahl und betrachtete die Leiche aufmerksam. Nach dem Einschusswinkel und der Wunde zu urteilen, sah es wie ein glatter Durchschuss aus. Nach kurzer Suche fand Byrne die Geschosshülse und steckte sie ein. Er suchte den Boden zwischen dem Jungen und der Wand nach der Patrone ab. Fast-Food-Verpackungen, durchnässte Zigarettenstummel, zwei pastellfarbene Kondome. Aber keine Kugel.
    Über ihm wurde in einem Zimmer das Licht eingeschaltet. Bald würde er die heulende Sirene eines Streifenwagens hören.
    Byrnes Suche wurde hektischer. Er schüttete Mülltüten aus und musste würgen, als ihm der Gestank verfaulter Lebensmittel in die Nase stieg. Nasse Zeitungen und Zeitschriften, Orangenschalen, Kaffeefilter, Eierschalen.
    Dann lächelten die Engel.
    Neben den Scherben einer zersplitterten Bierflasche lag die Patrone. Er hob sie auf und steckte sie ein. Sie war noch warm. Hastig zog er einen Beweismittelbeutel aus Plastik aus der Tasche, von denen er immer ein paar bei sich hatte. Er drehte ihn auf links und strich mit dem Beutel über die Einschusswunde auf der Brust des Jungen, bis eine dicke Schmierspur aus Blut auf dem Plastik war. Dann trat er von dem Leichnam zurück, drehte den Beutel um und verschloss ihn.
    Augenblicke später hörte er die Sirene.
    Byrne rannte los. Jetzt ging es nicht mehr um Dienstvorschriften oder den Job. Es ging ums nackte Überleben.
    Byrne lief die Gasse hinunter. Er war sicher, dass er etwas übersehen hatte. Ganz sicher.
    Am Ende der Gasse schaute er in beide Richtungen. Keine Menschenseele. Er lief über das Brachland, schwang sich in den Wagen, griff in die Tasche und schaltete sein Handy ein. Als es augenblicklich klingelte, zuckte er heftig zusammen.
    »Byrne«, meldete er sich.
    Es war Eric Chavez.
    »Wo bist du?«, fragte Chavez.
    Er war nicht hier. Das durfte nicht hier sein. Byrne dachte kurz an die Möglichkeit, Handy-Gespräche zurückzuverfolgen. Könnten sie feststellen, wo er war, als er diesen Anruf entgegengenommen hatte? Die Sirene wurde lauter. Konnte Chavez das Geräusch hören?
    »Altstadt«, sagte Byrne. »Was gibt’s?«
    »Gerade kam ein Notruf rein. Jemand hat einen Typen gesehen, der eine Leiche zum Rodin-Museum geschleppt hat.«
    Mein Gott.
    Er musste hier weg. Er hatte nicht einmal Zeit zum Nachdenken. Ihm blieb keine Wahl.
    »Bin schon unterwegs.«
    Bevor Byrne losfuhr, warf er einen letzten Blick in die Gasse, auf die nassen Müllberge, zwischen denen ein toter Jugendlicher lag, der nun durch seine Albträume geistern würde.
     

 
     
    34.
     
     
    Dienstag, 21.20 Uhr
     
     
    S imon war eingeschlafen. Seitdem er als Kind im Lake District gewohnt hatte, wo der auf die Dächer prasselnde Regen wie ein Wiegenlied klang, hatte das Geräusch ihn stets beruhigt. Es war die Fehlzündung des Wagens, die ihn nun weckte.
    Oder vielleicht war es ein Schuss.
    Schließlich war er hier in Gray’s Ferry.
    Er schaute auf die Uhr. Eine Stunde. Er hatte eine Stunde geschlafen. Ein wahrer Beschattungsprofi. Eher wie Inspektor Clouseau.
    Er konnte sich noch daran erinnern, dass Byrne in Gray’s Ferry in einer heruntergekommenen Kneipe namens Shotz verschwunden war, eine dieser Kaschemmen, zu deren Eingang man ein paar Stufen hinuntersteigen musste, was mit einem sozialen Abstieg

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