Byrne & Balzano 1: Crucifix
ihm fast das Genick gebrochen. Ich weiß, dass er aussteigen will, Jess. Er hat seine zwanzig Jahre voll. Aber er findet den Ausgang nicht.«
Die beiden Detectives schauten über den nassen Platz hinweg.
»Hör mal«, sagte Palladino. »Es steht mir wahrscheinlich nicht zu, das zu sagen, aber Ike Buchanan hat sich mit dir in eine brenzlige Lage gebracht.«
»Wie meinst du das?«, fragte Jessica, obwohl sie es sich denken konnte.
»Als er die Sonderkommission zusammengestellt und Kevin die Leitung übertragen hat, hätte er dich nicht unbedingt berücksichtigen müssen. Vielleicht wäre es besser gewesen, er hätte es nicht getan. Versteh mich nicht falsch …«
»Nein. Schon gut.«
»Ike weiß genau, was er will, und er lässt sich nicht reinreden. Man könnte glauben, dass er dich aus politischen Gründen berücksichtigt hat – hoffentlich ist es kein Schock für dich, dass es ein paar Arschlöcher bei uns gibt, die tatsächlich so denken. Aber wenn Ike nicht wirklich an dich glauben würde, wärst du nicht hier.«
Jessica schwieg für einen Moment. Was sollte sie davon halten?
»Ich hoffe, ich enttäusche sein Vertrauen nicht«, sagte sie schließlich.
»Du machst das schon.«
»Danke, Nick. Was du sagst, bedeutet mir sehr viel.« Und das meinte sie auch so.
»Ach, ich weiß gar nicht, warum ich es dir erzählt habe.«
Jessica umarmte Nick spontan, löste sich von ihm, strich sich übers Haar, räusperte sich und überspielte den kurzen Gefühlsausbruch.
Nick Palladino ging um den Block herum – City Hall, South Broad, Center Square Plaza und Market Street. Er fand John Shepherd unter der Überdachung des U-Bahn-Eingangs. Die beiden Männer schauten sich an und zuckten mit den Schultern. Es regnete noch immer.
»Verdammt«, sagte Shepherd. »Brechen wir die Aktion ab.«
33.
Dienstag, 21.15 Uhr
B yrne wusste, wer ihn von hinten gepackt hielt. Die feuchte Aussprache des Mannes, die fehlenden Zischlaute und die tiefe, näselnde Stimme ließen erkennen, dass ihm ein paar Zähne im Oberkiefer fehlten und sein Nasenbein kürzlich gebrochen war.
Es war Diablo, Gideon Pratts Bodyguard.
»Cool bleiben«, sagte Byrne.
»Ich bin cool, Cowboy«, sagte Diablo. »Ich bin so cool wie Eis.«
Während Byrne die kalte Klinge auf seiner Kehle spürte, tastete Diablo ihn ab, nahm ihm seine Glock weg und drückte ihm die Mündung auf den Hinterkopf
»Ich bin Polizist«, sagte Byrne.
»Ach ja?«, sagte Diablo. »Wenn du das nächste Mal deinen Kommentar zu einem Mord abgibst, solltest du dich nicht im Fernsehen blicken lassen.«
Die Pressekonferenz, dachte Byrne. Diablo hatte die Pressekonferenz gesehen, hatte das Roundhouse beobachtet und war ihm dann gefolgt.
»Du würdest nie …«
»Halt die Schnauze!«, zischte Diablo.
Der Blick des gefesselten Jugendlichen irrte auf der Suche nach einem Ausweg zwischen ihnen hin und her. Das Tattoo auf Diablos Unterarm sagte Byrne, dass er zur P-Town Posse gehörte, einer bunt gemischten Gruppe aus Vietnamesen, Indonesiern und Verbrechern, die aus dem einen oder anderen Grund in keine andere Gang passten.
Die P-Town Posse und die JBM waren verfeindet, ein Hass, der seit zehn Jahren schwelte. Deshalb wusste Byrne, was hier geschah.
Diablo hatte ihn in eine Falle gelockt.
»Lass den Jungen laufen«, sagte Byrne. »Wir regeln die Sache unter uns.«
»Hier gibt’s nichts zu regeln, du Scheißkerl.«
Byrne wusste, dass er handeln musste.
Stattdessen handelte Diablo.
Er riss Byrne herum, hob die Glock und feuerte aus nächster Nähe auf den Jugendlichen. Die Kugel traf ins Herz. Blut, Hautfetzen und Knochensplitter spritzten gegen die Mauer und bedeckten sie mit blutrotem Schaum, der vom strömenden Regen abgespült wurde. Der Junge sank zusammen.
Byrne schloss die Augen.
Donnerschläge dröhnten, Blitze zuckten über den Himmel.
Die Zeit dehnte sich.
Blieb stehen.
Byrne spürte, wie das Messer von seiner Kehle verschwand. Als er die Augen öffnete, sah er Diablo um die Ecke biegen und verschwinden. Byrne wusste, was als Nächstes kam. Diablo würde die Waffe irgendwo in der Nähe wegwerfen – in einen Müllcontainer oder in die Kanalisation. Die Cops würden die Waffe finden. Sie fanden sie immer. Und dann wäre Kevin Byrnes Leben vorüber.
Wer würde ihn festnehmen? Ike Buchanan?
Und wer würde seinen Job übernehmen? Johnny Shepherd?
Unfähig, sich zu bewegen, starrte Byrne auf den Leichnam des Jungen, auf den der Regen
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