Byrne & Balzano 1: Crucifix
Mülltüten und zerbrochene Holzkisten. Byrne lief langsam in die Gasse hinein. Stand jemand hinter dem Müllcontainer? Ein lauter Donnerschlag hallte durch die Dunkelheit. Byrne wirbelte herum; sein Herz klopfte zum Zerspringen.
Nichts.
Er ging weiter, fasste jeden nächtlichen Schatten ins Auge. Der strömende Regen, der auf die Plastikmüllbeutel prasselte, übertönte alle anderen Geräusche.
Dann hörte er trotz des lauten Regens ein Winseln und das Rascheln von Plastik.
Byrne schaute hinter den Müllcontainer. Es war ein schwarzer Jugendlicher von vielleicht achtzehn Jahren. Im Mondlicht sah Byrne die Nylonkappe, die Flyers-Strickjacke und ein Gang-Tattoo auf dem rechten Arm, das ihn als Mitglied der JBM auswies: Junior Black Mafia. Außerdem hatte er auf dem linken Arm Spatzen-Tattoos aus dem Gefängnis. Er war gefesselt und geknebelt und kniete. Auf seinem Gesicht waren frische Spuren von Schlägen. In seinen Augen schimmerte entsetzliche Angst.
Was ging hier vor?
Byrne bemerkte eine Bewegung zu seiner Linken. Ehe er sich umdrehen konnte, umklammerte ihn ein kräftiger Arm von hinten. Byrne spürte eine eisige, messerscharfe Klinge auf seiner Kehle.
»Keine Bewegung«, flüsterte ihm jemand ins Ohr.
32.
Dienstag, 21.10 Uhr
J essica wartete. Menschen eilten durch den Regen, hielten Taxis an, liefen zur U-Bahn-Haltestelle.
Keiner von ihnen war Brian Parkhurst.
Jessica griff unter ihren Regenmantel und drückte zweimal auf ihren Sender.
Am Eingang zur Center Square Plaza, der weniger als fünfzehn Meter entfernt war, trat ein ungepflegter Mann aus dem Schatten.
Jessica schaute ihn an und hob die Hände.
Nick Palladino zuckte mit den Schultern. Bevor Jessica losgefahren war, hatte sie noch zweimal versucht, Byrne zu erreichen. Auf dem Weg in die Stadt hatte sie dann Nick angerufen. Er willigte sofort ein, sie zu unterstützen. Auf Grund seiner großen Erfahrung als Undercover-Cop im Rauschgiftdezernat war Nick für Beschattungen wie geschaffen. Er trug ein abgetragenes Kapuzen-Sweatshirt und eine fleckige Chinos. Für Nick Palladino war dies das wahre Opfer, das der Job ihm abverlangte.
John Shepherd stand mit einem Fernglas in der Hand unter dem Gerüst neben der City Hall, genau auf der anderen Straßenseite. Zwei uniformierte Polizisten waren an der U-Bahn-Haltestelle an der Market Street stationiert. Beide hatten Fotos von Brian Parkhurst aus dem Jahrbuch der Schule bei sich, falls er dort auftauchen sollte.
Er war nicht aufgetaucht. Und es sah nicht so aus, als würde er noch auftauchen.
Jessica rief bei der Polizeiwache an. Das Team, das Parkhursts Haus beschattete, hatte nichts zu berichten.
Jessica schlenderte zu Palladino hinüber.
»Hast du Kevin immer noch nicht erreicht?«, fragte er.
»Nein«, erwiderte Jessica.
»Wahrscheinlich ist er völlig erledigt. Er kann ein bisschen Ruhe gebrauchen.«
Jessica zögerte. Sie wusste nicht, wie sie die Frage formulieren sollte. Sie war neu im Club und wollte keinem auf die Füße treten. »Meinst du, er kommt klar?«
»Kevin ist zäh wie Leder, Jess.«
»Er wirkte ziemlich erschöpft.«
Palladino nickte und zündete sich eine Zigarette an. Sie alle waren erschöpft. »Hat er dir von seinem … Erlebnis erzählt?«
»Du meinst von Luther White?«
Jessica hatte den Gerüchten entnommen, dass Byrne vor fünfzehn Jahren in eine blutige Auseinandersetzung mit einem Vergewaltiger namens Luther White verwickelt war. Damals war einiges schief gegangen. White wurde getötet, und auch Byrne wäre fast draufgegangen.
Es war dieses fast , das Jessica verwirrte.
»Ja«, sagte Palladino.
»Nein, er hat mir nichts davon erzählt«, sagte Jessica. »Und ich hatte nicht den Mut, ihn danach zu fragen.«
»Es war knapp«, sagte Palladino. »Knapper geht es nicht. Er soll für kurze Zeit klinisch tot gewesen sein.«
»Kann er wirklich hellsehen, wie gemunkelt wird?«
»Meine Güte, nein.« Palladino schüttelte lächelnd den Kopf. »Du solltest dieses Wort niemals in seiner Gegenwart aussprechen. In der Zentrale sitzt ein Detective, der eines Nachts im Finnigan’s Wake dummes Zeug darüber gelabert hat. Kevin ist durchgedreht. Ich glaube, der Typ muss noch heute mit dem Strohhalm essen.«
»Verstehe«, sagte Jessica.
»Es ist nur so, dass Kevin ein Gespür für die ganz üblen Typen hat. Hatte er zumindest. Die ganze Blanchard-Geschichte war schlimm für ihn. In dem Fall hatte er sich schrecklich geirrt, und das hat
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