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Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition)

Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition)

Titel: Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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ein. »Also auf Sonntag, wir essen bei deiner Tante Ragon«, sagte Birotteau und überließ Popinot seinen Geschäften, nachdem er sich überzeugt hatte, daß der Braten, den er gerochen hatte, noch nicht tranchiert war. »Merkwürdig! Binnen vierundzwanzig Stunden wird solch ein Kommis zum richtigen Kaufmann«, dachte Birotteau, der über Popinots Glückseligkeit und stolzes Auftreten ebenso erstaunt war, wie über du Tillets Luxus. »Anselm hat ein etwas beleidigtes Gesicht gemacht, als ich ihm in die Haare fuhr, ganz als ob er schon Franz Keller wäre.«
    Birotteau hatte sich nicht überlegt, daß die Kommis zusahen, und daß der Chef des Hauses daheim seine Würde zu wahren hat. Hier, wie bei du Tillet, hatte der gute Mann aus Herzensgüte eine Dummheit begangen und hätte, weil er, bourgeoismäßig ausgedrückt, sein wahres Empfinden nicht unterdrücken konnte, jeden andern Menschen als Anselm beleidigt.
    Das Sonntagsdiner bei Ragons sollte die letzte Freude des neunzehn Jahre hindurch so glücklichen Ehepaars Birotteau sein, und zwar eine ungetrübte Freude. Ragon bewohnte in der Rue du Petit-Bourbon-Saint-Sulpice, im zweiten Stock eines allen Hauses von anständigem Aussehen, altmodische Zimmer voll Wandspiegeln mit tanzenden Schäferinnen im Reifrock und hüpfenden Lämmern aus der Zeit des achtzehnten Jahrhunderts, dessen ernste und würdige Bourgeoisie, mit ihren altfränkischen Sitten, ihrer Verehrung für den Adel, ihrer Hingebung für Thron und Altar, durch die Ragons vortrefflich repräsentiert wurde. Die Möbel, die Uhren, das Tischzeug, das Tafelgeschirr, alles machte mit seinen durch das Alter fremdartig anmutenden Formen einen patriarchalischen Eindruck. Im Salon, der mit altem Damast ausgeschlagen und mit Vorhängen aus imitiertem Brokat versehen war, standen altmodische Sitzgelegenheiten, kleine Sekretäre und ein prächtiges Bild Popinots, des Schöffen von Sancerre, des Vaters der Frau Ragon, von Latour gemalt. Der gute Mann war vortrefflich wiedergegeben und strahlte wie ein Parvenü, der sich in seinem Glanze sonnt. Zu Hause legte sich Frau Ragon noch einen kleinen englischen Hund bei, einen King Charles, der sich vorzüglich auf einem kleinen harten Sofa im Rokokostil ausnahm, das sicherlich niemals die Rolle von Crébillons Sofa gespielt hatte. Außer ihren sonstigen Vorzügen zeichneten sich die Ragons noch durch die Pflege alter Weine, die ihre volle Blume erreicht hatten, und durch den Besitz etlicher Liköre der Frau Anfoux aus, welche Leute, die genügend verbohrt waren, um die schöne Frau Ragon (hoffnungslos, wie man sagte) zu lieben, ihr von den Inseln mitgebracht hatten. Ihre kleinen Diners wurden daher sehr geschätzt! Eine alte Köchin, Jeanette, diente dem alten Ehepaar mit blinder Hingebung; sie würde Früchte gestohlen haben, damit sie ihr Eingemachtes nicht zu vermissen brauchten! Statt ihre Ersparnisse auf die Sparkasse zu bringen, spielte sie damit vorsichtig in der Lotterie, in der Hoffnung, für ihre Herrschaft eines Tages das große Los zu gewinnen. Wenn die Herrschaft Sonntags Gäste hatte, war sie, trotz ihrer sechzig Jahre, gleichzeitig in der Küche, um die Gerichte zu überwachen, und bei Tisch, um sie zu servieren, und entwickelte dabei eine Behendigkeit, daß sie, nach dem allzu oft wiederholten Ausspruch des guten Ragon, Fräulein Contat in ihrer Rolle als Susanne in Figaros Hochzeit noch einige Punkte vorgeben konnte.
    Die Gäste waren der Richter Popinot, der Onkel Pillerault, Anselm, die drei Birotteaus, die drei Matifats und der Abbé Loraux. Frau Matifat, die neulich zum Tanz im Turban erschienen war, trug ein blaues Sammetkleid, dicke baumwollene Strümpfe, ziegenlederne Schuhe, Handschuhe von Gemsleder, mit grünem Plüsch eingefaßt, und einen rosa gefütterten Hut mit Bärenpelz garniert. Um fünf Uhr waren alle zehn Personen anwesend. Die alten Ragons baten ihre Gäste immer, pünktlich zu sein. Wenn man das ehrwürdige Ehepaar einlud, wurde um die gleiche Zeit gespeist; der Magen von Siebzigjährigen gewöhnt sich nicht mehr an die neuen in Mode gekommenen Speisezeiten. Cäsarine wußte, daß Frau Ragon sie neben Anselm setzen würde; alle Frauen, selbst die Betschwestern und die dummen, verstehen sich im Punkte der Liebe. Die Tochter des Parfümhändlers hatte sich daher eine Toilette gewählt, die Popinot den Kopf verdrehen sollte. Ihre Mutter, die ihrerseits nicht ohne schmerzliches Bedauern auf den jungen Crottat verzichtet hatte, der in ihrem Kopf

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