Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition)
die Rolle eines Erbprinzen spielte, half ihr, nicht ohne bittere Gedanken, beim Ankleiden. Mit mütterlicher Sorgfalt schob sie das keusche Fichu etwas herunter, um Cäsarines Schultern ein wenig mehr sehen zu lassen und den Ansatz des Halses zu zeigen, der besonders reizvoll war. Die griechische Taille, von links nach rechts in fünf Falten herübergenommen, konnte sich öffnen und köstliche Rundungen verraten. Das eisengraufarbene Kleid mit grünem Besatz ließ ihre Figur so schlank und voll erscheinen, wie noch nie. Die Ohrringe waren von geschmiedetem Gold. Die hochgenommene Frisur à la Chinoise ließ die köstliche Frische der Haut, die sich von Adern, in denen das reinste Leben auf dem matten Weiß pulsierte, abhob, dem Blicke frei. Kurz, Cäsarine sah so entzückend aus, daß Frau Matifat sich nicht enthalten konnte, es zuzugestehen, ohne zu merken, daß Mutter und Tochter die Notwendigkeit, den kleinen Popinot zu bezaubern, begriffen hatten.
Weder Birotteau, noch seine Frau, noch Frau Matifat – niemand störte das süße Geplauder, das die beiden verliebten Kinder leise in der Fensternische, in die der kalte Wind von draußen hineindrang, unterhielten. Die Unterhaltung der Älteren wurde lebhafter, als der Richter Popinot ein Wort über Roguins Flucht fallen ließ und darauf hinwies, daß dies schon der zweite Notar sei, der sich eines solchen Verbrechens schuldig gemacht habe, wie es früher niemals vorgekommen wäre. Bei dem Worte Roguin hatte Frau Ragon ihren Bruder auf den Fuß getreten, und Pillerault hatte dem Richter ein Zeichen gemacht, daß er schweigen solle, indem beide auf Frau Birotteau hindeuteten. »Ich weiß alles«, sagte Konstanze zu ihren Freunden mit sanftem, aber kummervollen Tone.
»Wieviel hat er Ihnen denn unterschlagen?« fragte Frau Matifat Birotteau, der voll Scham den Kopf senkte. »Wenn man dem Geklatsch Glauben schenken wollte, wären Sie ruiniert.«
»Er hatte von mir zweihunderttausend Franken in Händen. Was die vierzig anlangt, die er mir vorgeblich von einem seiner Klienten hat leihen lassen, den er auch um sein Geld betrogen hat, so schwebt darüber ein Prozeß.«
»Er wird in dieser Woche entschieden werden«, sagte Popinot. »Ich habe angenommen, daß es Ihnen nicht unangenehm wäre, wenn ich Ihre Lage dem Herrn Präsidenten schildern würde; er hat angeordnet, daß der Kammer Roguins Papiere vorgelegt werden sollen, damit sie feststellen kann, seit welcher Zeit das Geld des Darlehnsgebers unterschlagen war, und die von Derville beigebrachten Beweisstücke prüfen kann, der selber plaidiert hat, um Ihnen Kosten zu ersparen.«
»Werden wir gewinnen?« sagte Frau Birotteau.
»Das weiß ich nicht«, antwortete Popinot. »Obgleich ich Mitglied der Kammer bin, bei der die Sache anhängig ist, werde ich, auch wenn man mich hinzuziehen wollte, an der Verhandlung nicht teilnehmen.«
»Aber kann es denn bei einem so einfachen Prozeß noch einen Zweifel geben?« sagte Pillerault. »Muß nicht in dem notariellen Vertrage die Belegung ausdrücklich erwähnt werden, und müssen die Notare nicht bescheinigen, daß sie sich von der Übergabe des Betrages durch den Darlehnsgeber an den Darlehnsnehmer überzeugt haben? Wäre Roguin in den Händen der Justiz, so würde er ja auf die Galeeren geschickt werden.«
»Nach meiner Ansicht«, erwiderte der Richter, »kann sich der Darlehnsgeber nur an den Kaufpreis für Roguins Notariat und an seine Kaution halten; aber selbst bei noch klareren Sachen stehen manchmal die Stimmen der Richter des höchsten Gerichtshofs sechs gegen sechs.«
»Wie denn, Fräulein Cäsarine, Roguin ist geflohen?« sagte Popinot, der endlich hörte, worüber gesprochen wurde. »Und Herr Cäsar hat mir nichts davon erzählt, mir, von dem er doch weiß, daß ich mein Blut für ihn hingeben würde ...« Cäsarine verstand, daß in dem Worte »für ihn« die ganze Familie mit einbegriffen war, denn wenn das unschuldige Mädchen auch über den Ton noch im Zweifel sein konnte, über seinen Blick, der sie mit seiner Purpurflamme übergoß, konnte sie sich nicht täuschen.
»Das wußte ich und das habe ich ihm auch gesagt,, aber er hat alles vor meiner Mutter geheimgehalten und sich nur mir anvertraut.«
»Sie haben in dieser Lage mit ihm von mir gesprochen,« sagte Popinot; »Sie haben in meinem Herzen gelesen, aber haben Sie auch alles darin gelesen?«
»Vielleicht.«
»Ich bin sehr glücklich«, sagte Popinot. »Wenn Sie alle Furcht von mir nehmen, dann
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