Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition)
Pariser »Flunkereien« nannte, gewöhnt. Er war daher, nachdem Ursula ihn verlassen hatte, schnell getröstet, zumal sie in keiner Weise seinem angeborenen Gefühl für zarte Empfindung entsprochen hatte. Verdorben und mürrisch, scheinheilig und spitzbübisch, egoistisch und trunksüchtig beleidigte sie das reine Empfinden Birotteaus, ohne daß sie ihm irgendeine günstige Aussicht bot. Der arme Junge sah sich häufig zu seinem Schmerze durch die für naive Seelen am festesten geschmiedeten Fesseln an ein Geschöpf gebunden, das ihm Widerwillen einflößte. Als er sich frei fühlte, war er groß geworden und hatte sein sechzehntes Jahr erreicht. Ursula und die Neckereien der Kommis hatten seinen Geist geweckt und ihn angeregt, in das Handelswesen einzudringen, wobei seine Intelligenz sich hinter seiner Einfachheit verborgen hielt; er beobachtete die Kunden, ließ sich, wenn nichts zu tun war, die Waren erklären, deren Verschiedenheiten und Anordnung er sich merkte; und bald kannte er die einzelnen Artikel, ihren Preis und ihr Warenzeichen besser, als das sonst bei Neulingen der Fall ist; Herr und Frau Ragon fingen nun an, ihn anderweitig zu beschäftigen. Am Tage, da die furchtbare Aushebung des Jahres II das Haus bei dem Bürger Ragon leer machte, benutzte Cäsar Birotteau, der zum zweiten Kommis aufgestiegen war, die Gelegenheit, um fünfzig Franken Gehalt monatlich zu erreichen, und setzte sich mit unaussprechlicher Freude mit Ragons zu Tisch. Der zweite Kommis der Rosenkönigin, der nun sechshundert Franken hatte, erhielt ein Zimmer, wo er in den seit langem ersehnten Möbeln die kleinen Andenken, die er sich gesammelt hatte, unterbringen konnte. An den Feiertagen der Dekade kleidete er sich wie die jungen Leute dieser Zeit, denen die Mode vorschrieb, rohe Manieren anzunehmen, und der freundliche, bescheidene Bauer verstand es, sich wie ihresgleichen zu benehmen, so daß er die Grenzen, die zu andern Zeiten die Dienstbarkeit zwischen der Bourgeoisie und ihm gezogen hätte, überschritt. Gegen das Ende dieses Jahres wurde er seiner Ehrlichkeit halber an die Kasse gesetzt. Die stattliche Bürgerin Ragon hielt die Wäsche des Kommis instand und die beiden Eheleute kamen in ein vertrauliches Verhältnis mit ihm. Im Vendémiaire des Jahres 1794 wechselte Cäsar die hundert Louisdor, die er besaß, gegen sechstausend Franken Assignaten ein, kaufte dafür Renten zu einem Kurse von dreißig Franken, bezahlte sie einen Tag vor der Herabsetzung der Assignaten an der Börse und verschloß seine Titres mit dem Gefühl unsagbaren Glückes. Von diesem Tage an verfolgte er die Börsenkurse und die politischen Ereignisse mit geheimer Angst, die ihn bei Unglücksfällen oder Erfolgen, die diese Periode unsrer Geschichte kennzeichnen, erzittern ließ. Herr Ragon, ehemals Hoflieferant Ihrer Majestät der Königin Marie-Antoinette, bekannte in solchen kritischen Momenten Cäsar Birotteau vertraulich seine Anhänglichkeit an die gestürzten Tyrannen. Diese Bekenntnisse wurden von der wichtigsten Bedeutung für Cäsars Lebensgestaltung. Die abendlichen Unterhaltungen nach Schluß des Geschäfts, wenn die Straßen ruhig geworden und Kasse gemacht war, begeisterten den Tourainer, der, wenn er Royalist wurde, damit nur seiner angeborenen Empfindung gehorchte. Die Erzählung der tugendhaften Handlungen Ludwigs XVI., die Mitteilungen, bei denen sich die beiden Eheleute für die Verdienste der Königin begeisterten, erregten die Einbildungskraft Cäsars. Das schreckliche Geschick dieser beiden gekrönten Häupter, die wenige Schritte von dem Laden entfernt gefallen waren, empörte sein empfindsames Herz und erfüllte ihn mit Haß gegen eine Regierungsform, der es nichts bedeutete, unschuldiges Blut zu vergießen. Sein kaufmännischer Verstand sagte ihm, daß, wenn es zum Äußersten und zu politischen Stürmen kam, die immer den Geschäften schädlich sind, der Handel zugrunde gehen müsse. Außerdem haßte er als echter Parfümhändler eine Revolution, die jedermann mit einem Tituskopf herumgehen ließ und das Pudern abschaffte. Und da nur die Ruhe, die die absolute Herrschaft gewährt, das Geld wieder lebendig machen kann, so wurde er fanatischer Royalist. Als Ragon ihn für geeignet erkannte, machte er ihn zum ersten Kommis und weihte ihn in das Geheimnis der Rosenkönigin ein, wo mehrere Kunden die tätigsten und hingehendsten Emissäre der Bourbonen waren, und von wo aus die Korrespondenz des Westens mit Paris geleitet wurde.
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