Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition)
Herzen. Dieses Herz war ausgefüllt von einer einzigen Liebe, dem Licht und der Kraft seines Lebens; denn sein Wunsch, emporzustreben, das Erwerben seiner wenigen Kenntnisse, alles beruhte auf der hingebenden Liebe für seine Frau und seine Tochter.
Was Frau Konstanze anlangt, so war sie damals siebenunddreißig Jahre alt und glich vollkommen der Venus von Milo, so daß alle, die sie kannten, in ihr das Abbild jener schönen Statue sahen, als der Herzog von Rivière diese nach Paris gebracht hatte. Aber in wenigen Monaten färbte dann der Kummer die blendende Weiße ihres Teints gelb und runzelte und schwärzte den bläulichen Kreis, aus dem ihre schönen grünlichen Augen hervorstrahlten, so grausam, daß sie das Ansehen einer alten Madonna bekam; denn sie bewahrte sich selbst mitten in ihrem Elend ihre anmutige Unberührtheit, ihren reinen, wenn auch traurigen Blick, und man mußte sie immer noch als eine schöne Frau von zurückhaltendem, dezentem Wesen ansehen. Bei dem von Cäsar geplanten Balle sollte sie zum letztenmal sich des allgemein auffallenden Glanzes ihrer Schönheit zu erfreuen haben.
Eine jede Existenz hat ihren Höhepunkt, die Zeit, da die wirksamen Ursachen genau im richtigen Verhältnis zu den erzielten Resultaten stehen. Dieser Mittag des Lebens, wo die lebendigen Kräfte sich im Gleichgewicht halten und ihre volle Macht zeigen, ist nicht allein allen Lebewesen, sondern auch den Städten, den Nationen, den Ideen, den Institutionen, dem Handel und den Unternehmungen gemeinsam, die ähnlich wie edle Rassen und Dynastien entstehen, in die Höhe kommen und zu Boden sinken. Woher rührt die Gewalt, mit der dieses Wesen des Aufstiegs und Niedergangs allem Organischen hienieden anhaftet? Selbst der Tod hat in Pestzeiten sein Ansteigen, sein Abschwellen, sein Wiederausbrechen und sein Einschlafen. Unsere Erde selbst ist vielleicht nur eine etwas dauerhaftere Leuchtkugel als andere. Die Geschichte, die die Ursachen von Größe und Niedergang aller Dinge hienieden erzählt, könnte dem Menschen den Moment anzeigen, da er mit der Entfaltung aller seiner Kräfte innehalten sollte; aber weder die Eroberer, noch die Schauspieler, noch die Frauen, noch die Schriftsteller hören auf ihre warnende Stimme.
Cäsar Birotteau, der hätte fühlen müssen, daß er den Höhepunkt seines Glücks erreicht habe, betrachtete diesen Ruhepunkt nur wie ein neues Sprungbrett. Er begriff nicht, was übrigens weder die Völker noch die Könige in unverwischbaren Lettern aufzuzeichnen versucht haben, die Ursache dieser Umschwünge, von denen die Geschichte voll ist, und von denen die souveränen und die Handelshäuser so gewaltige Beispiele darbieten. Warum können nicht neue Pyramiden immerfort diesen Grundsatz, der die Politik der Völker wie des einzelnen beherrschen sollte, wiederholen: »Wenn die Wirkung nicht mehr in richtiger Beziehung und in gleichem Verhältnis zur Ursache steht, dann beginnt die Auflösung?« Aber diese Monumente sind ja überall vorhanden, es sind die Überlieferungen und die Steine, die zu uns von der Vergangenheit reden, die die Launen des unentrinnbaren Geschicks bestätigen, dessen Hand unsere Träume vernichtet und uns beweist, daß die schwerwiegendsten Ereignisse sich auf einen Grundgedanken zurückführen lassen. Troja und Napoleon sind beides nur Gedichte. Möge diese Erzählung das Gedicht der bürgerlichen Umschwünge sein, derer noch keine Stimme gedacht hat, obwohl sie mit demselben Recht ungeheure genannt werden können; es handelt sich hier nicht um einen einzelnen Menschen, sondern um ein ganzes leidendes Volk.
Beim Einschlafen fürchtete Cäsar, daß seine Frau ihm am andern Morgen noch entscheidende Einwürfe machen würde, und nahm sich vor, sehr früh aufzustehen, um alles zum Abschluß zubringen. Mit Tagesgrauen verließ er daher das Bett, zog sich schnell an und ging in den Laden hinunter, als der Hausknecht die numerierten Fensterläden abnahm. Da Birotteau allein war, wartete er, bis seine Kommis aufgestanden waren, stellte sich an die Türschwelle und paßte auf, wie der Hausknecht Raguet seine Arbeit tat, und Birotteau verstand sich auf solche Arbeit! Trotz der Kälte war das Wetter herrlich.
»Popinot, nimm deinen Hut, zieh dir Schuhe an und rufe Herrn Cölestin herunter; wir beide wollen in den Tuilerien miteinander reden«, sagte er, als er Anselm herunterkommen sah.
Popinot, dieses ausgesprochene Gegenstück zu du Tillet, den einer jener glücklichen Zufälle, die an
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