Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition)
Treppen waren sauber, die Zimmerdecken weiß, die Gesimse unversehrt, die Fußböden saßen fest auf ihren Balken, der Anstrich war in Ordnung; die Schlösser waren nicht älter als drei Jahre, keine Fensterscheibe fehlte, Löcher gab es nicht, Risse im Fußboden wurden nur sichtbar beim Ausziehen; wurde ihm die Wohnung wieder übergeben, so übernahm er sie in Gegenwart eines Schlossers, eines Malers und eines Glasers, sehr entgegenkommenden Leuten, wie er sagte. Dem neuen Mieter stand es dann frei, die Wohnung zu restaurieren; wenn der Unglückliche das aber machte, so grübelte der kleine Molineux Tag und Nacht darüber, wie er ihn wieder herausbringen könne, um über die neu in Ordnung gebrachte Wohnung wieder zu verfügen: er spionierte ihn aus, er paßte ihm auf und ließ eine ganze Serie übler Machenschaften gegen ihn los. Er kannte alle Finessen der Pariser Gesetzesbestimmungen über Mietverträge. Händelsüchtig und schreibwütig, verfaßte er sanfte, höfliche Briefe an seine Mieter; aber hinter seinem Stil, wie hinter seiner süßlichen und zuvorkommenden Miene verbarg sich die Seele eines Shylock. Er ließ sich immer halbjährlich voraus bezahlen, um beim Ablauf des Vertrages mit Bezug auf den langen Schwanz all der dornigen Bedingungen, die er ausgeheckt hatte, aufrechnen zu können. Er überzeugte sich stets, ob die eingebrachten Möbel genügend Deckung für den Mietzins gewährten. Über jeden neuen Mieter zog er genaue Erkundigungen ein, denn gewisse Berufe wollte er nicht aufnehmen, und der geringste Hammerschlag erschreckte ihn. Wenn dann ein Vertrag zu unterzeichnen war, hob er ihn erst bei sich auf und buchstabierte ihn erst acht Tage lang durch, denn er hatte Angst vor dem »et cetera« des Notars. Abgesehen von seinen fixen Ideen als Hausbesitzer war Jean-Baptiste Molineux ein guter, hilfsbereiter Kerl, er spielte seinen Boston, ohne zu schimpfen, wenn ihn sein Mitspieler im Stiche ließ; er lachte über das, worüber die Bourgeois zu lachen, redete über das, worüber sie zu reden pflegen, über die Willkürakte der Bäcker, die die Frechheit hatten, einem falsches Gewicht zu verkaufen, über die Polizei und über die heldenmütigen siebzehn Abgeordneten der Linken. Er las den »Bon Sens« des Pfarrers Meslier und ging zur Messe, da er sich zwischen Deismus und Christentum nicht zu entscheiden vermochte; aber die Hostie wies er niemals zurück und beklagte sich dann, daß er sich den um sich greifenden Anmaßungen der Geistlichkeit entziehen müsse. Über diesen Punkt schrieb er unermüdlich Petitionsbriefe an die Zeitungen, die diese weder abdruckten, noch zurücksandten. Im ganzen war er ein achtbarer Bourgeois, der am Weihnachtsabend feierlich seinen Holzkloben ins Feuer legt, den Dreikönigstag feiert, Aprilscherze ersinnt, bei schönem Wetter auf allen Boulevards zu sehen ist, den Schlittschuhläufern zuschaut und schon um zwei Uhr, mit einem Butterbrot in der Tasche, auf der Place Louis XV. erscheint, um an den Tagen, wo hier Feuerwerk abgebrannt wird, vornan zu stehen.
Der Holländische Hof, wo dieser kleine Alte wohnte, ist das Produkt einer jener verzwickten Terrainspekulationen, aus denen man nicht mehr klug wird, sobald es fertig ist. Dieses klosterartige Bauwerk mit inneren Arkaden und Galerien war aus Quadersteinen errichtet und am Ende des Hofes mit einem Brunnen geschmückt, aber einem durstigen Brunnen, der sein Löwenmaul weniger zum Speien von Wasser öffnete, als um alle Passanten um welches zu bitten; zweifellos hatte man auch das Stadtviertel Saint-Denis mit einer Art von Palais-Royal ausstatten wollen. Dieser ungesunde, auf allen vier Seiten von hohen Häusern umgebene Bau ist nur am Tage etwas belebt; er ist das Zentrum der dunklen Passagen, die hier zusammentreffen und das Viertel der Hallen mit dem Viertel Saint-Martin durch die berüchtigte Rue Quincampoix verbinden, feuchte Fußwege, in denen sich eilige Leute Rheumatismus holen; Nachts aber ist es die einsamste Stelle von Paris, man möchte es die Handelskatakomben nennen. Man findet hier verschiedene übelriechende Gewerbebetriebe, sehr wenig Holländer und viele Gewürzkrämer. Natürlich haben die Zimmer dieses Handelspalastes keine andere Aussicht als auf den gemeinsamen Hof, nach dem alle Fenster gehen, daher sind auch die Mieten hier äußerst niedrig. Herr Molineux wohnte hier in einer Eckwohnung, und zwar aus Gesundheitsrücksichten im sechsten Stock: die Luft war doch erst in einer Höhe von siebzig
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