Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition)
Fuß über dem Erdboden rein. Hier genoß der biedere Hausbesitzer den entzückenden Anblick der Mühlen auf dem Montmartre, wenn er sich zwischen den Dachrinnen, wo er Blumen zog, ohne Rücksicht auf die Polizeivorschriften bezüglich der hängenden Gärten des modernen Babylons, erging. Seine Wohnung bestand aus vier Zimmern, wozu noch sein kostbarer Dachboden in dem obersten Stockwerk kam: er besaß den Schlüssel dazu, er gehörte ihm, er hatte ihn eingerichtet, damit war für ihn in dieser Beziehung alles in Ordnung. Trat man bei ihm ein, so zeigte die unanständige Kahlheit sofort seinen Geiz an: im Vorzimmer standen sechs Strohstühle und ein Kachelofen, die Wände waren mit einer flaschengrünen Tapete beklebt und mit vier auf Auktionen gekauften Stichen geschmückt; im Speisezimmer befanden sich zwei Schränke, zwei Vogelbauer voll Vögel, ein mit Wachstuch überzogener Tisch, ein Barometer, eine Fenstertür, die nach den hängenden Gärten hinausführte, und mit Roßhaarstoff überzogene Mahagonistühle; der Salon hatte kleine Fenstervorhänge aus alter grüner Seide und weiße, mit grünem Utrechter Sammet überzogene Möbel. Das Schlafzimmer des alten Junggesellen hatte Möbel im Stil Ludwigs XV., die infolge des langen Gebrauchs so aussahen, daß eine in Weiß gekleidete Dame Furcht gehabt hätte, sich auf ihnen schmutzig zu machen. Der Kamin war mit einer von zwei Säulen getragenen Uhr geschmückt, zwischen denen ein Zifferblatt als Postament für eine lanzenschwingende Pallas diente: eine mythologische Darstellung. Der Fußboden war mit Schüsseln voller Speisereste für die Katzen so bedeckt, daß man befürchten mußte, hineinzutreten. Über einer Kommode aus Rosenholz hing ein Pastellbild (Molineux als junger Mann). Dazu einige Bücher, Tische mit gemeiner grüner Pappe bedeckt und auf einer Konsole seine ausgestopften seligen Kanarienvögel; das Bett endlich verbreitete eine Kälte, daß es einen Karmelitermönch abgeschreckt hätte.
Cäsar Birotteau war entzückt von der ausgesuchten Höflichkeit Molineux', den er in einem grauen Schlafrock vorfand, wie er seine Milch überwachte, die auf einem Blechwärmer in einem Kaminwinkel stand, und sein Kaffeewasser, das in einem kleinen grünen irdenen Topf kochte und das er in kleinen Portionen in seine Kaffeekanne goß. Um seinen Hauswirt nicht zu bemühen, hatte der Schirmhändler Birotteau die Tür geöffnet. Molineux besaß eine große Hochachtung vor den Bürgermeistern und Beigeordneten von Paris, die er »seine städtischen Offiziere« nannte. Als er den Kommunalbeamten erblickte, erhob er sich und blieb mit dem Käppchen in der Hand stehen, bis sich der große Birotteau gesetzt hatte.
»Nein, verehrter Herr; ja, verehrter Herr; ach, mein verehrter Herr, wenn ich geahnt hätte, daß mir die Ehre zuteil werden würde, im Schoße meiner bescheidenen Penaten ein Mitglied der Pariser städtischen Verwaltung empfangen zu sollen, seien Sie überzeugt, daß ich es mir zur Pflicht gemacht hätte, meinerseits Sie aufzusuchen, obgleich ich Ihr Hausbesitzer bin, oder wenigstens im Begriffe bin, es zu werden.« Birotteau deutete an, daß er sein Käppchen wieder aufsetzen möchte. »Nein, das tue ich nicht, ich setze es nicht eher auf, als bis Sie Platz genommen und sich selbst bedeckt haben, falls Sie etwa erkältet sein sollten; mein Zimmer ist etwas kalt, meine bescheidenen Einkünfte gestatten mir nicht ... Zur Gesundheit, Herr Beigeordneter.«
Birotteau hatte geniest, als er seinen Vertrag hervorsuchte. Er überreichte ihn, nicht ohne hinzuzufügen, um alle Verzögerungen zu verhindern, daß Herr Roguin, der Notar, ihn auf seine Kosten aufgesetzt habe.
»Ich bestreite nicht etwa die glänzenden Fähigkeiten des Herrn Roguin, ein unter dem Pariser Notariat wohlbekannter Name; aber ich habe so meine kleinen Gewohnheiten, ich besorge meine Geschäfte selbst, eine entschuldbare Eigenheit, und mein Notar ist ...«
»Aber unser Geschäft ist ja ein so einfaches«, sagte der Parfümhändler, der an die schnellen Entscheidungen der Kaufleute gewöhnt war.
»Ein so einfaches?« rief Molineux aus. »In Mietsachen ist nichts einfach. Ach, Sie sind nicht Hausbesitzer, Herr Birotteau, um so besser für Sie. Wenn Sie wüßten, bis zu welchem Grade die Mieter es an Entgegenkommen fehlen lassen, und was für Vorsichtsmaßregeln wir treffen müssen! Hören Sie, da hatte ich einen Mieter ...«
Und Molineux erzählte eine Stunde lang, wie der Zeichner Gandrin die
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