Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition)
Selbstmord das Mittel, um tausend Toden zu entgehen, es ist logisch, daß man den einen vorzieht. Alexander Crottat faßte Cäsar unter den Arm und wollte ihn mit fortziehen, aber das war unmöglich: seine Beine gehorchten ihm nicht, wie wenn er betrunken wäre.
»Was ist Ihnen denn?« sagte Crottat. »Ein bißchen Mut, mein guter Herr Cäsar! So etwas bringt einen Menschen noch nicht um. Vierzigtausend Franken werden Sie übrigens wiederbekommen, der Darlehnsgeber hatte den Betrag nicht flüssig, er ist Ihnen nicht ausgehändigt worden, Sie können auf Ungültigkeitserklärung des Vertrages klagen.«
»Der Ball, der Orden, zweihunderttausend Franken Platzwechsel und nichts in der Kasse. Die Ragons – Pillerault ... Und meine Frau, die das geahnt hat!«
Ein Strom unzusammenhängender Worte, die die Fülle niederschmetternder Gedanken und fürchterlicher Schmerzen verrieten, ergoß sich wie ein Hagelschauer, der alle Blüten dar Rosenkönigin vernichtete.
»Ich wollte, man schlüge mir den Kopf ab,« sagte Birotteau endlich, »er ist mir so schwer und zu nichts mehr nütze ...«
»Armer Vater Birotteau,« sagte Alexander, »steht es denn so gefährlich um Sie?«
»Gefährlich!«
»Fassen Sie nur Mut und nehmen Sie den Kampf auf.«
»Kampf!«
»Du Tillet ist doch Ihr Angestellter gewesen, das ist ein kluger Kopf, er wird Ihnen helfen.«
»Du Tillet?«
»Vorwärts, kommen Sie nur!«
»Ach Gott, in diesem Zustand kann ich nicht nach Hause gehen«, sagte Birotteau. »Sie sind doch mein Freund, wenn es überhaupt noch Freunde gibt, ich habe mich für Sie interessiert, und Sie haben an meinem Tische gegessen – Xandrot, im Namen meiner Frau bitte ich Sie, nehmen Sie einen Wagen und bringen Sie mich nach Hause!« Der junge Notar setzte eine fast leblose Masse, die den Namen Cäsar führte, mit großer Mühe in den Wagen. »Xandrot,« sagte der Parfümhändler mit tränenerstickter Stimme, denn jetzt endlich flossen ihm die Tränen und lockerten ein wenig das eiserne Band, das ihm den Kopf zusammenpreßte, »lassen Sie bei mir halten und sprechen Sie statt meiner mit Cölestin. Sagen Sie ihm, lieber Freund, daß es sich um mein und meiner Frau Leben handelt. Unter keiner Bedingung darf jemand über Roguins Verschwinden ein Wort fallen lassen. Rufen Sie Cäsarine herunter und bitten Sie sie, aufzupassen, daß ihre Mutter nichts von der Sache erfährt. Sie soll auf unsre besten Freunde, Pillerault, die Ragons, auf jeden einzigen achtgeben.«
Die Veränderung in Birotteaus Stimme ging Grottat nahe, der die Wichtigkeit dieses Auftrags einsah. Die Rue Saint-Honoré brachte sie direkt zu Birotteaus Wohnung; er entsprach dem Wunsche des Parfümhändlers, den Cölestin und Cäsarine entsetzt, wortlos, bleich und wie erstarrt im Wagen sitzen sahen.
»Halten Sie die Sache geheim«, sagte der Parfümhändler.
»Ah, er kommt wieder zu sich,« sagte sich Xandrot, »ich dachte schon, er wäre hinüber.«
Die Konferenz zwischen Alexander Crottat und dem Beamten dauerte lange; man ließ den Präsidenten der Notarkammer holen; Cäsar wurde überall wie ein Paket herumgeschleppt; er rührte sich nicht und sprach kein Wort. Gegen sieben Uhr abends brachte Alexander Crottat den Parfümhändler nach Hause. Der Gedanke, daß er nun vor Konstanze treten müsse, gab Cäsar die Sprache wieder. Der junge Notar war so gefällig, voranzugehen und Frau Birotteau zu benachrichtigen, daß ihr Mann eben eine Art Schlaganfall gehabt hätte.
»Er redet ganz unzusammenhängend,« sagte er mit einer Gebärde, die eine Geistesverwirrung andeuten sollte, »man müßte ihm zur Ader lassen oder Blutegel ansetzen.«
»Das mußte so kommen,« sagte Konstanze, die weit entfernt war, ein Unheil zu ahnen, »er hat zu Anfang des Winters seine Medizin, die vorbeugen soll, nicht genommen und arbeitet seit zwei Monaten wie ein Galeerensträfling, als ob er nichts zu essen hätte.«
Cäsar wurde von Frau und Tochter dringend gebeten, sich ins Bett zu legen, und man ließ den alten Doktor Haudry, Birotteaus Arzt, holen. Dieser alte Haudry war ein Arzt aus der Schule Molières, ein sehr erfahrener Praktiker und ein Freund des alten Rezepteverschreibens, ein so guter Diagnostiker er sonst war. Er kam, prüfte Cäsars Aussehen und verordnete, daß ihm sofort Senfpflaster auf die Fußsohlen gelegt werden sollten: er glaubte die Symptome einer Gehirnkongestion zu erkennen.
»Woher kann das nur gekommen sein?« fragte Konstanze.
»Von dem nassen Wetter«,
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