Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition)
müssen, hatten schon dreimal zu dem Parfümhändler geschickt. Im Geschäftsleben sind solche Lappalien gefährlicher als ein Unglück: sie kündigen eins an. Bekannt gewordene Verluste sind begrenzt, aber eine Panik kennt keine Grenzen. Birotteau sah, daß seine Kasse leer war. Da packte ihn, dem so etwas während seines ganzen geschäftlichen Lebens noch niemals passiert war, die Angst. Wie allen Leuten, die lange Zeit hindurch niemals das Elend gekannt haben und die schwach sind, verwirrte dieser im Leben der meisten kleinen Pariser Kaufleute so gewöhnliche Zustand Cäsar den Kopf. Er gab Cölestin den Auftrag, seinen Kunden die Rechnung zu schicken; bevor der Kommis das aber ausführte, ließ er sich diesen ihm unverständlichen Befehl zweimal geben. Die Klienten, diese damals vom Detaillisten ihren Kunden gegebene vornehme Bezeichnung, deren sich auch Cäsar, trotz des Widerspruchs seiner Frau, bediente, die schließlich zu ihm gesagt hatte: nenn sie meinetwegen, wie du willst, wenn sie nur bezahlen! – Diese Klienten also waren reiche Leute, bei denen kein Verlust zu befürchten war, die nach ihrem Belieben zahlten und bei denen Cäsar häufig fünfzig- bis sechzigtausend Franken ausstehen hatte. Der zweite Kommis nahm das Debitorenkonto vor und begann die größten Ausstände auszuziehen. Cäsar scheute sich vor seiner Frau. Um sie seine Niedergeschlagenheit, die ihm dieser »Samum« von Widerwärtigkeiten verursachte, nicht merken zu lassen, beschloß er, auszugehen.
»Guten Tag, Herr Birotteau«, sagte Grindot, der eingetreten war, in ungezwungenem Ton, wie ihn die Künstler annehmen, wenn sie von geschäftlichen Dingen reden wollen, die ihnen angeblich fremd sind. »Ich kann Ihren Wechsel auf keine Weise zu Geld machen und ich muß Sie bitten, mir bares Geld statt dessen zu geben; es tut mir außerordentlich leid, daß ich dazu genötigt bin, aber ich wollte doch nicht zu einem Wucherer gehen und Ihre Unterschrift ausbieten; ich verstehe genug von Geschäften, um zu wissen, daß sie dadurch entwertet werden würde; es liegt also in Ihrem eigenen Interesse ...«
»Leiser, wenn ich bitten darf, Herr Grindot,« sagte Birotteau verblüfft, »Sie setzen mich aufs äußerste in Erstaunen.«
Jetzt erschien Lourdois.
»Lourdois, verstehen Sie das? ...«
Birotteau stockte. Der arme Mann war im Begriff, Lourdois zu bitten, Grindots Wechsel zu nehmen, indem er sich mit dem guten Glauben eines selbstgewissen Kaufmanns über Grindot lustig machen wollte; aber er bemerkte eine Wolke auf Lourdois' Stirn und er erschrak über seine Unvorsichtigkeit. Ein solcher unschuldiger Scherz konnte einen nicht mehr sicheren Kredit zugrunde richten. Ein reicher Kaufmann nimmt in solchem Falle seinen Wechsel zurück und bietet ihn nicht andern an. Birotteau hatte ein Gefühl, als ob er einen steilen Abgrund vor sich sähe.
»Mein verehrter Herr Birotteau,« sagte Lourdois und führte ihn in den hinteren Teil des Ladens, »meine Rechnung ist geprüft, in Ordnung befunden und anerkannt worden, ich bitte Sie, die Zahlung für morgen bereitzuhalten. Ich verheirate meine Tochter mit dem jungen Crottat, ich brauche Geld, die Notare lassen nicht mit sich handeln, und Wechsel habe ich noch niemals ausgestellt.«
»Schicken Sie übermorgen her«, sagte Birotteau stolz, der die Bezahlung seiner Rechnungen erwartete. »Und Sie auch, Herr Grindot«, sagte er zu dem Architekten.
»Und weshalb nicht gleich?« sagte der Architekt.
»Ich muß meine Arbeiter in der Fabrik bezahlen«, sagte Cäsar, der bisher noch niemals eine Lüge gesagt hatte.
Er nahm seinen Hut, um mit ihnen zusammen fortzugehen. Aber da hielten ihn der Maurermeister Thorein und Chaffaroux auf, als er gerade die Tür schließen wollte.
»Herr Birotteau,« sagte Chaffaroux, »wir brauchen dringend Geld.«
»Ich besitze doch nicht die Minen von Peru«, sagte Cäsar ungeduldig und ging so schnell fort, daß er bald hundert Schritt von ihnen entfernt war. »Dahinter steckt etwas. Verdammter Ball! Sie denken alle, daß ich Millionen habe. Aber Lourdois kam mir anders vor als sonst,« dachte er, »dahinter muß irgend etwas stecken.«
Planlos ging er die Rue Saint-Honoré entlang, während er sich wie zerbrochen fühlte, als er an einer Straßenecke mit Alexander zusammenstieß, wie ein Hammel oder wie ein Mathematiker, der in die Lösung eines Problems vertieft ist, auf einen andern stößt.
»Ach, eine Frage, Herr Birotteau«, sagte der angehende Notar. »Hat Roguin
Weitere Kostenlose Bücher