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Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition)

Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition)

Titel: Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Mann nicht eine so stählerne Seele hat wie Pillerault, wird er zum Spielball der Ereignisse; er folgt bald den Meinungen der andern, bald seinen eigenen, wie ein Wanderer, der hinter Irrlichtern herläuft. Er läßt sich von dem Wirbelsturm mit fortreißen, anstatt sich auf die Erde zu legen und nicht hinzusehen, wenn er vorüberbraust, oder seine Bahn zu beobachten, um sie zu vermeiden. Mitten in seinem Schmerze erinnerte sich Birotteau an den Prozeß wegen der Terrainhypothek. Er begab sich nach der Rue Vivienne, zu Derville, seinem Anwalt, um sobald als möglich vorzugehen, falls der Anwalt eine Möglichkeit sehen würde, den Vertrag zu annullieren. Der Parfümhändler traf Derville in seinem Hausrock von weißem Flanell am Kaminfeuer sitzend an, ruhig und gesetzt, wie alle Advokaten, die daran gewöhnt sind, die schrecklichsten Eröffnungen anzuhören. Birotteau fiel zum erstenmal diese unvermeidliche Kühle auf, die eisig auf einen Mann wirken mußte, der in leidenschaftlicher Erregung, tief verletzt, vom Fieber der Angst um sein Vermögen geschüttelt und schmerzhaft in seinem Lebensnerv, in seiner Ehre, in Frau und Kindern getroffen ist, wie es Birotteau war, als er über sein Unglück berichtete.
    »Wenn bewiesen werden kann,« sagte Derville, nachdem er ihn angehört hatte, »daß der Darlehnsgeber die Summe, die er Ihnen auf Roguins Veranlassung leihen sollte, nicht bei Roguin deponiert hatte, so ist, da eine Barzahlung nicht stattgefunden hat, die Ungültigkeitserklärung möglich; der Darlehnsgeber kann sich dann nur an die Kaution des Notars halten, ebenso wie Sie mit Ihren hunderttausend Franken. In diesem Falle würde ich für den Prozeß einstehen, soweit man dafür einstehen kann, denn einen Prozeß, der sicher gewonnen werden muß, gibt es nicht.«
    Diese Ansicht eines so tüchtigen Rechtsverständigen flößte dem Parfümhändler wieder etwas Mut ein, und er bat Derville, binnen vierzehn Tagen das Urteil zu erwirken. Aber der Anwalt erwiderte ihm, daß eine Entscheidung, die den Kontrakt aufhöbe, allenfalls in drei Monaten zu erreichen sei.
    »In drei Monaten!« sagte der Parfümhändler, der schon eine Hilfe gefunden zu haben glaubte.
    »Wenn wir auch die Sache energisch betreiben, so können wir doch Ihren Gegner nicht zu demselben Tempo zwingen; er wird alle Fristen ausnutzen, und die Anwälte sind nicht immer zum Termin anwesend; und wer kann wissen, ob Ihr Gegner nicht ein Versäumnisurteil gegen sich ergehen läßt. Es geht nicht so schnell, wie man gern möchte, verehrter Herr«, sagte Derville lächelnd. »Und beim Handelsgericht?« sagte Birotteau.
    »Oh,« sagte der Anwalt, »Handelsrichter und Richter erster Instanz, das sind zwei ganz verschiedene Arten von Richtern. Ihr, ihr brecht die Dinge übers Knie! Aber im Justizpalast haben wir die vorgeschriebenen Formen innezuhalten. Die Form ist die Beschützerin des Rechts. Würden Sie ein solches Urteil aus dem Handgelenk vorziehen, durch das Sie vierzigtausend Franken verlieren können? Und Ihr Gegner, der diesen Betrag zu verlieren in Gefahr ist, wird sich wehren. Die Fristen sind die spanischen Reiter der Justiz.«
    »Sie haben recht«, sagte Birotteau, der sich von Derville verabschiedete und fortging, den Tod im Herzen.
    »Alle haben sie recht. Geld! Geld!« rief er laut, indem er auf der Straße mit sich selbst redete, wie überbeschäftigte Leute es in dem stürmisch brausenden Paris, das ein moderner Dichter einen Siedekessel genannt hat, tun. Als er in seinen Laden trat, sagte ihm der Kommis, der mit den Rechnungen herumgegangen war, daß mit Rücksicht auf das bevorstehende Neujahr alle die Quittung zurückgegeben und die Rechnung behalten hätten.
    »Es ist also nirgends Geld aufzutreiben«, sagte der Parfümhändler laut in seinem Laden.
    Er biß sich auf die Lippen, denn alle Kommis hatten ihm den Kopf zugewandt.
    So vergingen fünf Tage, fünf Tage, während denen Braschon, Lourdois, Thorein, Grindot, Chaffaroux, alle nicht bezahlten Gläubiger sämtliche Chamäleons-Phasen erlebten, die der Gläubiger durchmachen muß, bevor er in den Ruhezustand gelangt, zu dem ihm die Einsicht verhilft, daß die Bellona des Handels blutige Farben hat. In Paris tritt die Periode des sich zusammenziehenden Mißtrauens ebenso schnell ein, wie es lange dauert, bis sich das Vertrauen wieder ausbreitet: ist der Gläubiger einmal in diese Zeit der einschränkenden kommerziellen Angst und Vorsicht geraten, so kommt er schließlich zu direkten

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