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Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition)

Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition)

Titel: Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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niederwerfen, müssen sie mehr als einmal im Herzen die Sporen der Notwendigkeit, dieses harten Reiters, verspürt haben! So hatte sich auch Birotteau erst zwei Tage lang anspornen lassen, bevor er seinen Onkel aufsuchte, und auch dann entschloß er sich erst aus Rücksicht auf seine Familie dazu: jedenfalls war er gezwungen, dem gestrengen Eisenhändler seine Lage offen darzustellen. Trotzdem ergriff ihn vor der Tür das innere Schwächegefühl, das jedes Kind empfindet, wenn es zum Zahnarzt geht; aber bei ihm bezog sich dieses Gefühl auf den Gesamtbegriff seines Daseins, nicht auf einen vorübergehenden Schmerz. Langsam stieg Birotteau die Treppe hinauf. Er fand den Alten am Kaminfeuer den Constitutionel lesend vor einem kleinen Tisch, auf dem sein frugales Frühstück stand: ein Brötchen, Butter, Briekäse und eine Tasse Kaffee.
    »Das ist der wahre Weise«, sagte Birotteau, der das Leben des Onkels beneidete.
    »Nun?« sagte Pillerault und nahm seine Brille ab, »ich habe gestern im Café David von der Affäre Roguin gehört und von der Ermordung der schönen Holländerin, seiner Mätresse! Ich hoffe, du hast dir, auf unsre Erklärung hin, daß wir als effektive Eigentümer auftreten wollen, die Quittung von Claparon geben lassen?«
    »Ach, lieber Onkel, das ist ja das Unglück; du hast den Finger auf die Wunde gelegt: Nein.«
    »Aber, zum Henker! Dann bist du ja ruiniert«, sagte Pillerault und ließ seine Zeitung fallen, die Birotteau aufhob, obwohl es der Constitutionel war. Pillerault wurde von den Überlegungen, die er anstellte, so tief bewegt, daß sein Gesicht, von dem strengen Schnitt einer Medaille, wie Metall unter dem Schlag des Stempels erstarrte; mit starrem Blick fixierte er durch das Fenster die gegenüberliegende Mauer und hörte Birotteaus langer Auseinandersetzung zu. Er prüfte und urteilte, er wog das Für und Wider ab mit der Unerbittlichkeit eines Minos, der den Styx des Handels überschritten hatte, als er den Quai des Morfundus verließ, um seine kleine Wohnung im dritten Stock zu beziehen.
    »Nun, lieber Onkel?« sagte Birotteau, der eine Antwort erwartete, nachdem er mit der Bitte geschlossen hatte, Pillerault möchte sechzigtausend Franken Rente verkaufen.
    »Nein, mein armer Junge, das kann ich nicht, du bist zu stark kompromittiert. Die Ragons und ich, wir verlieren beide unsre fünfzigtausend Franken. Diese braven Leute haben auf meinen Rat ihre Wortschiner Minenaktien verkauft: ich fühle mich deshalb bei diesem Verluste verpflichtet, ihnen zwar nicht das Kapital zu ersetzen, aber ihnen hilfreich beizuspringen, ihnen, meiner Nichte und Cäsarine. Ihr werdet euch vielleicht alle nach Brot umsehen müssen, und das sollt ihr bei mir finden ...«
    »Nach Brot, Onkel?«
    »Nun ja, gewiß, nach Brot. Du mußt den Dingen, wie sie in Wirklichkeit stehen, ins Gesicht sehen: Du wirst dich nicht herausziehen können. Von fünftausendsechshundert Franken Rente kann ich viertausend entbehren und sie zwischen euch und den Ragons teilen. Wie ich Konstanze kenne, wird sie bei einem solchen Unglück arbeiten wie ein Galeerensklave und sich alles versagen, und du ebenso, Cäsar!«
    »Aber es ist doch noch nicht alles verloren, lieber Onkel.«
    »Ich sehe anders als du.«
    »Aber ich werde dir das Gegenteil beweisen.«
    »Nichts würde mich mehr erfreuen.«
    Birotteau verließ Pillerault ohne eine weitere Antwort. Er war gekommen, um Trost zu finden und Mut zu schöpfen, und er empfing einen zweiten Schlag; dieser traf ihn in Wahrheit nicht so heftig wie der erste, aber er fiel nicht auf seinen Kopf, er traf ihn ins Herz; und das Herz war bei dem armen Manne das Wesentliche. Nachdem er schon einige Stufen hinabgestiegen war, kehrte er noch einmal um.
    »Herr Pillerault,« sagte er kühl, »Konstanze weiß nichts davon, ich bitte, die Sache wenigstens geheim zu halten und auch Ragons zu ersuchen, mir zu Hause nicht die Ruhe wegzunehmen, die ich so nötig brauche, um gegen das Unglück ankämpfen zu können.«
    Pillerault machte eine zustimmende Gebärde.
    »Du brauchst den Mut nicht zu verlieren, Cäsar«, fügte er hinzu; »ich sehe, daß du mir böse bist; aber später wirst du gerechter über mich urteilen, wenn du an deine Frau und deine Tochter denken wirst.«
    Entmutigt durch die Ansicht seines Onkels, den er für einen besonders klaren Kopf hielt, stürzte Cäsar von der Höhe seiner Hoffnungen in den trüben Sumpf der Ungewißheit hinab. Wenn bei solchen fürchterlichen Geschäftskrisen ein

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