Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition)
begleitete. Mit dem letzten, dem General Foy, ging Franz Keller bis ins Vorzimmer.
»Ich bin verloren!« sagte Birotteau, dem sich das Herz zusammenkrampfte, zu sich.
Als der Bankier nach seinem Arbeitszimmer zurückging, stürzte sich die Meute von Höflingen, Freunden und Interessenten auf ihn, wie Hunde, die hinter einer hübschen Hündin her sind. Einige freche Köter drängten sich gegen seinen Willen in das Allerheiligste. Die Konferenzen dauerten fünf Minuten, zehn Minuten, eine Viertelstunde. Die einen gingen zerknirscht weg, die andern trugen ein zufriedenes Aussehen zur Schau oder nahmen eine wichtige Miene an. Die Zeit verfloß, und Birotteau sah angstvoll auf die Uhr. Kein Mensch beachtete diesen Schmerz, der auf dem vergoldeten Sessel am Kaminwinkel seufzte, an der Tür dieses Zimmers, in dem das Allheilmittel sich befand, der Kredit! Mit Kummer dachte Cäsar daran, wie auch er zu Hause einen Augenblick ein König gewesen war, so wie dieser Mann alle Morgen ein König war, und er ermaß die Tiefe des Abgrunds, in den er gestürzt war. Ein bitterer Gedanke! Wieviel Tränen waren in dieser Stunde hier verschluckt worden! ... Wievielmal hatte Birotteau Gott angefleht, ihm diesen Mann günstig zu stimmen, bei dem er unter der starken Hülle populär sein wollender Liebenswürdigkeit eine Rücksichtslosigkeit, eine tyrannische Schärfe und eine brutale Herrschsucht verspürte, vor der sich sein weiches Gemüt entsetzte. Als schließlich nur noch zehn bis zwölf Personen anwesend waren, entschloß sich Birotteau, vorzutreten und sich dem großen Redner gegenüberzustellen, indem er sagte: »Ich bin Birotteau!« Der Grenadier, der als erster die Schanze an der Moskwa erkletterte, hat nicht mehr Mut entwickelt, als der Parfümhändler zu diesem Manöver aufbringen mußte.
»Schließlich bin ich doch sein Beigeordenter«, sagte er sich, als er sich erhob, um seinen Namen zu nennen.
Franz Keller machte ein freundliches Gesicht, offenbar wollte er liebenswürdig sein; er bemerkte das rote Bändchen des Parfümhändlers, trat zurück, öffnete die Tür zu seinem Arbeitszimmer, ließ ihn vorangehen und blieb noch einige Zeit im Gespräch mit zwei Personen stehen, die sich von der Treppe her mit der Gewalt eines Wirbelsturms auf ihn gestürzt hatten.
»Decazes will Sie sprechen«, sagte der eine von ihnen.
»Es handelt sich darum, Marsans Flagge herunterzuholen! Der König sieht jetzt klar, er tritt auf unsere Seite!« rief der andere.
»Wir werden zusammen in die Kammer gehen«, sagte der Bankier und trat ins Zimmer mit der Haltung eines Frosches, der sich zu einem Ochsen aufblähen will.
»Wie kann er dabei an seine Geschäfte denken?« fragte sich Birotteau völlig verblüfft.
Die Sonne der Überlegenheit strahlte auf seinem Gesicht und blendete den Parfümhändler, wie das Licht die Insekten blind macht, die nach dem milden Tageslicht oder dem Halbdunkel einer schönen Nacht verlangen. Auf einem riesigen Tische bemerkte er den Etat, die tausend Drucksachen der Kammer, geöffnete Bände des Moniteur mit angestrichenen Stellen, um einem Minister vergessene frühere Sätze ins Gesicht schleudern zu können und ihn zum Widerruf zu zwingen unter dem Beifall einer albernen Zuhörerschaft, die unfähig ist, zu begreifen, daß eingetretene Ereignisse alles umgestalten. Auf einem andern Tische lagen Mappen aufgehäuft, Denkschriften, Projekte und die tausenderlei Auskünfte, die dem Manne überreicht waren, aus dessen Kasse alle neu entstehenden Industriezweige zu schöpfen versuchten. Der fürstliche Luxus dieses Zimmers voller Gemälde, Statuen und Kunstwerken, der überladene Kaminsims, die angehäuften Bündel von einheimischen und auswärtigen Zinsbogen – alles machte Birotteau betroffen und klein, erhöhte seinen Schrecken und machte ihm das Blut erstarren. Auf Franz Kellers Schreibtisch lagen Haufen von Effekten, Wechseln und Papieren. Keller setzte sich und begann eiligst Briefe zu unterzeichnen, die keiner näheren Prüfung bedurften.
»Welchem Anlaß verdanke ich die Ehre Ihres Besuches, mein Herr?« sagte er.
Bei diesen Worten, zu ihm allein von diesem Munde ausgesprochen, der gewöhnt war, zu Europa zu reden, während die Hand hastig über das Papier eilte, hatte der arme Parfümhändler ein Gefühl, als wenn ihm ein heißes Eisen in den Leib gestoßen würde. Er machte ein freundliches Gesicht, wie es der Bankier seit zehn Jahren bei allen, die ihn in eine nur für sie wichtige Angelegenheit
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