Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang (German Edition)
»ich bekomme von den Kellers einen Kredit.«
Erst am 29. Dezember konnte sich Birotteau wieder im Arbeitszimmer Adolph Kellers einfinden. Als der Parfümhändler das erstemal wiederkam, war Adolph wegen der Besichtigung eines Landgutes, sechs Meilen von Paris entfernt, abwesend, das der große Redner ankaufen wollte. Beim zweitenmal waren beide Keller den ganzen Vormittag beschäftigt; es handelte sich um die Submission einer Anleihe, die der Kammer vorgelegt war, und sie ließen Birotteau bitten, am nächsten Freitag wiederzukommen. Dieses Hinausschieben brachte den Parfümhändler beinahe um. Aber schließlich kam auch dieser Freitag. Birotteau befand sich in dem Arbeitszimmer, an dem einen Kaminwinkel am Fenster sitzend, während Adolph Keller am andern Platz genommen hatte.
»Das ist in Ordnung, Herr Birotteau«, sagte der Bankier und wies auf den Vertrag, »aber wieviel haben Sie auf den Kaufpreis der Terrains angezahlt?«
»Hundertvierzigtausend Franken.«
»In bar?«
»In Wechseln.«
»Sind sie eingelöst?«
»Sie sind erst in einiger Zeit fällig.«
»Aber wenn Sie, in Anbetracht ihres augenblicklichen Wertes, die Terrains zu hoch bezahlt haben, welche Garantie haben wir dann? Nur die des Vertrauens, das Sie einflößen, und des Ansehens, das Sie genießen. Aber auf Sentiments kann man keine Geschäfte basieren. Hätten Sie zweihunderttausend Franken wirklich bezahlt, so würden wir, selbst angenommen, daß Sie, um die Terrains in die Hand zu bekommen, hunderttausend Franken zu teuer gekauft hätten, immer noch hunderttausend Franken Garantie für die zu kreditierenden hunderttausend haben. Wir könnten dann schließlich, indem wir an Ihrer Stelle zahlen, Eigentümer Ihres Anteils werden, vorausgesetzt, daß wir das Geschäft selbst als ein gutes ansehen. Wenn man fünf Jahre warten soll, um sein Anlagekapital zu verdoppeln, dann ist es besser, es im Bankgeschäft arbeiten zu lassen. Es können so viele Zwischenfälle eintreten! Sie wollen Wechsel in Umlauf setzen, um damit fällige zu bezahlen, das ist ein gefährliches Manöver! Einen Schritt rückwärts machen, um dann besser vorwärts zu kommen. Das ist kein Geschäft für Sie.«
Dieses Wort traf Birotteau, als ob der Henker ihn mit dem Brandmal auf der Schulter gezeichnet hätte, und er verlor den Kopf.
»Nun, wir wollen sehen,« sagte Adolph, »mein Bruder hat ein lebhaftes Interesse für Sie, er hat mir von Ihnen gesprochen. Wir wollen die Sache prüfen.« Dabei warf er dem Parfümhändler einen Blick zu wie eine Kurtisane, die ihre Miete bezahlen soll.
Birotteau verwandelte sich jetzt in einen Molineux, den Molineux, über den er so erhaben gespottet hatte. Zum besten gehalten von dem Bankier, dem es Spaß machte, den armen Menschen alle seine Kümmernisse herbeten zu lassen, und der sich darauf verstand, einen Kaufmann auszufragen, wie der Richter Popinot einen Verbrecher, erzählte Cäsar von all seinen Unternehmungen; er führte ihm die Doppelpaste der Sultaninnen vor, das Eau Carminative, die Affäre Roguin und seinen Prozeß wegen des hypothekarischen Darlehns, das ihm nicht ausgezahlt worden war. Während er Kellers lächelndes, nachdenkliches Gesicht und sein zustimmendes Nicken beobachtete, sagte sich Birotteau: »Er hört mir zu! Ich interessiere ihn! Ich werde meinen Kredit bekommen!« Und Adolph Keller lachte über Birotteau, wie Birotteau über Molineux gelacht hatte. Hingerissen von dem Redebedürfnis, das die Leute, die das Unglück verwirrt gemacht hat, empfinden, kam bei Cäsar der echte Birotteau zum Vorschein; er zeigte, was er konnte, indem er als Garantie das Huile Céphalique und die Firma Popinot, seinen letzten Einsatz, anbot. Sich in falschen Hoffnungen wiegend, ließ sich der arme Kerl nach allen Richtungen hin von Adolph Keller ausfragen, der in dem Parfümhändler einen royalistischen Flachkopf erkannte, der dicht vor dem Bankrott stand. Entzückt darüber, einen Beigeordneten ihres Bezirks, einen frisch dekorierten Anhänger der herrschenden Macht vor dem Zusammenbruch stehen zu sehen, sagte Adolph zu Birotteau mit klaren Worten, daß er ihm weder einen Kredit eröffnen, noch irgendein Wort zu seinen Gunsten bei seinem Bruder Franz, dem großen Redner, einlegen könne. Wenn Franz eine törichte Großmut entwickeln wolle, indem er Leute von entgegengesetzten Anschauungen und politische Feinde unterstützte, so würde er, Adolph, sich mit aller Macht dagegen auflehnen, daß er sich so zum Narren mache, und ihn
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