Cäsar läßt grüssen
keine Chance. Tarquinius Priscus regierte seine angeblich siebenunddreißig Jährchen störungsfrei und berief, umsichtig wie er war, auch noch seinen Nachfolger: Servius Tullius, seines Zeichens Schwiegersohn.
Nun ist Schwiegersohn ein sehr schöner Beruf, wie wir heute noch wissen. Wohl dem, der ihn ergriffen hat. Aber er ist nicht immer ein ausreichender. Da gibt es Onkel, Neffen, Vettern zweiten Grades, und alle haben im entscheidenden Moment Ohren, die von den entferntesten Orten bis nach Rom reichen. Als Tarquinius tot war, sah Schwiegersohn Servius Tullius zum erstenmal, wie groß die Verwandtschaft war. Er hatte gehofft, entsprechend den deutschen Schulbüchern für höhere Lehranstalten eine ruhige Kugel schieben zu können, ein bißchen am Jupitertempel weiterzubauen und die Anlagen etwas zu modernisieren. Jedoch er merkte bald, daß denselben Wunsch noch andere hegten.
Die Etruskologen haben nämlich in einem Grabmal in Vulci Bilder einer wilden Schlacht gefunden: auf der einen Seite kämpft ein Herr »Macstrna« und sein Heer, auf der anderen ein »Cneve Tarchunies Rumach« und sein Heer. Macstrna ist die etruskische Form von Mastarna, und Mastarna — das ist belegt — war der ursprüngliche Name von Schwiegersohn Servius Tullius. Der andere, Cneve Tarchunies Rumach, würde übersetzt »Gnaeus Tarquinius Romanus« geheißen haben. Er war nicht aus Tarquinii, sondern er hieß so. Er war aus Rom.
Sohn des toten Königs? Schwager des Servius?
Wer besaß Rom und wer wollte es besitzen?
Es sind Fragen, die uns keine grauen Haare wachsen lassen. Für die Betroffenen allerdings sehen solche Ereignisse anders aus. Die Römer bluteten in diesem Kampf ohne die Chance, sich heraushalten zu können. Die fremden Herren, die sich immer aufgespielt hatten und Rom schützen wollten, rissen es nun in die eigenen Konflikte hinein. Ein Unrecht, das schnell zu Buche schlägt.
Hier lieferten die Etrusker die erste handfeste Begründung für eine schwebende Sehnsucht der Römer nach »Freiheit«, einer eingebildeten Freiheit, die in Wahrheit weder fehlte, noch deren Fehlen sie sonst bemerkt hätten.
Mastarna-Servius Tullius bestieg den Thron, jenen Stuhl, den die Römer immer noch ein bißchen komisch fanden. Und er tat als erstes etwas, wozu er vorher bestimmt keine Lust gehabt hatte: er gab Rom eine neue Klassenordnung. Im politischen Sinne war es wohl überhaupt die erste.
Ursprünglich hatte sich alles auf der Basis der Gegebenheiten abgespielt: wer ein Pferd hatte, war Reiter, wer keins besaß, hatte Pech. Wer hundert Ziegen hatte (und hundert Ziegen zu verlieren hatte), stand vom, wer nur eine schwangere Katze hatte, stand hinten. Dann gab es eine Einteilung in »tribus« (das spätere Wort »Tribun« kommt daher); es ist nicht ganz klar, was das war, vielleicht die drei Stämme, vielleicht drei Stadtteile. Die Zahl der wehrfähigen Männer wird wohl kaum mehr als ein- oder zweitausend betragen haben. Tausend können ein ganz schönes Spektakel machen, wem sage ich es! Aber es waren ja noch keine Berufsspektakelmacher, sondern ehrsame, arbeitsame, meistens müde Bürger. Und was gab es schon groß mitzureden, solange der etruskische König den Laden gut schmiß.
Schmiß er ihn gut?
Zweifellos. Ich will Ihnen hier etwas sagen, was heute natürlich nicht gelehrt wird, was aber von sachlichen Historikern unbestritten ist: die alte Königszeit muß bei den Römern ewig als schöne Legende in Erinnerung geblieben sein. Die Bereitschaft zur Monarchie, latent, ist beim Volke ständig dagewesen, so präsent, daß die heimlich Mächtigen, die oligarchischen Familien, ihr Leben damit zugebracht haben, die Königszeit zu diffamieren und den König als Bubmann an die Wand zu malen.
Auch damals unter Servius Tullius war es gewiß nicht »das Volk«, das sich da vordrängelte. Es wurde gedrängelt. Die aus dem Hintergrund drückten, waren die paar reichen, alteingesessenen latinischen Familien — man braucht sich nur die Neuordnung anzusehen: Die Bevölkerung wurde in fünf Steuer- und auch Stimmklassen eingeteilt, ähnlich wie man vorher schon die Militärdienstpflicht in fünf Gruppen aufgeteilt hatte: Gruppe I die Ritter (Reiter), gleichbedeutend mit reich, denn sie mußte allen Aufwand selbst bestreiten. Gruppe II bis IV das Fußvolk, gestaffelt nach Ausrüstung, das heißt also wieder nach den finanziellen Möglichkeiten, und Gruppe V die völlig Besitzlosen, die vom Heeresdienst befreit waren, was zugleich
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