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Cäsar läßt grüssen

Cäsar läßt grüssen

Titel: Cäsar läßt grüssen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
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nichts bewiesen war —, sondern auch noch besonders zu ehren. Und dann dieser merkwürdige Tarquinius selbst. Abends saß er da und übersetzte persönlich die kanonischen etruskischen Bücher ins Lateinische!
    Eines Tages kam ein elfenbeinerner Stuhl für ihn an, den er Thron nannte. Wenn er durch Rom ging, trug er, das Gesicht mit roter Farbe bemalt, einen purpurnen Mantel, was bei dem Schmutz ganz unpraktisch war, und vor ihm schritten aus unerfindlichen Gründen zwölf Leute; vielleicht, um ihm einen Pfad zu trampeln oder um die Schweine aus dem Wege zu jagen, denn die Männer trugen ein Rutenbündel und ein Beil in der Hand. Wer weiß, was in den Köpfen dieser Etrusker vorging. Täglich kamen jetzt welche mit Sack und Pack und siedelten sich auf den Hügeln an. Natürlich spielten sie sich auf. Ja, war man denn eine Kolonie? Na ja, was heißt Kolonie? Da gibt es feine Unterschiede. Natürlich ging »Besatzungsrecht« über »Grundgesetz«. Die neuen Eroberungen der Etrusker reichten bis fast nach Neapel hinunter und im Norden bis zum Po. Irgendein Punkt dazwischen war Rom. Ein Pünktchen.
    Hier, an dieser Stelle, meine Freunde, möchte ich Sie vor einem großen Irrtum bewahren. Die Schullehre hat sich nie von der falschen Perspektive befreien können, Rom immer extra zu sehen. Das ist vollkommen unberechtigt! Die »Römische Geschichte« ist eigentlich nur der zweite Akt der Geschichte des antiken Italiens. Wie schief die Schulperspektive ist, ermißt man erst, wenn man das Beispiel auf Griechenland überträgt: Stellen Sie sich vor, wir würden die Geschichte von Hellas mit der Gründung des Dorfes Pella beginnen, wie es wuchs, wie es in erste Berührung mit den Nachbarn kam, wie König Archelaos es zu seiner Residenz machte, wie es Bürgerkriege durchtobten, wie es lebte, weinte, lachte. Spätestens hier werden Sie fragen: Wer oder was, zum Teufel, ist Pella? Ich kenne Athen und Sparta und...« Eben nicht! Athen und Sparta sollen Sie ebenso wenig kennen, wie wir vor kurzem noch Tarquinii und Volsinii kannten. Pella ist es, das Sie kennen, denn ab 359 tritt es mit Philipp von Macedonien in die Weltöffentlichkeit, steigt wie ein Komet hoch und schwillt 323 unter seinem Sohn Alexander dem Großen zu einem Weltreich an. Das entspricht Rom.
    Aber vorher lebten Athen, Sparta, Theben, Korinth, und eines Tages werden wir auch Tarquinii, Veji und Volsinii kennen und werden anfangs Rom Rom sein lassen, desinteressiert an dem Unsinn, ob es eine cloaca maxima baute oder Sexualnot litt. Und erst, wenn über Volsinii die Götterdämmerung kommt, wie sie über Athen und Sparta gekommen ist, dann werden wir auf Rom überspringen und die Geburt und das Vergehen des Weltreichs als zweiten Teil des Dramas begreifen. Ein riesiger Teil natürlich, ein Furioso, ein Prestissimo, ohne das die ganze Sinfonie nur eine »Unvollendete« wäre. Aber ein letzter Satz allein, den die Historiker als Sinfonie ausgeben, ist ein Irrtum.
    So stehen die Dinge.

    *

    Nachdem wir unsere Sicht korrigiert haben, können wir, ohne Schaden zu nehmen, zur Dorfchronik Roms zurückkehren.
    Nein, per bacco, seit Tarquinius Priscus war es kein Dorf mehr! Er ließ einen Graben und eine massive Mauer um alle sieben Hügel ziehen, er holte Baumeister und Künstler aus Vulci und Veji und erbaute Jupiter den ersten prachtvollen Tempel auf dem Kapitol. Er holte Töpfer aus Caere und Vetulonia und lehrte die Römer die Kunst der Terrakotta. Er ließ die ersten Inschriften anbringen. Etruskisch. Er machte Rom zu einer Stadt, in der ein Herr leben konnte.
    Auch der einfache Mann konnte leben. Die Hand der Etrusker war milde. Sie waren das Regieren über fremde Völker gewohnt, in ihrem Perugia saß umbrisch-sabellische Bevölkerung, im Norden überwogen Veneter und Ligurier.
    Die latinisch-sabinischen Römer galten gewiß nicht als Menschen zweiter Klasse, aber nun fühlten sie sich so. Noch niemals hat man in der Welt verhindern können, daß ein geistig Unterlegener sich in der Rolle des Unterdrückten sieht. Dummköpfe haben immer eine Wut auf die anderen.
    Die Situation war nun viel praktischer als früher: Man konnte jetzt die Fremden, die Stärkeren, die Klügeren, die Tüchtigeren hassen. Und die vornehmen alteingesessenen Familien, die vorher selbst beargwöhnt waren, konnten jetzt die Führer des schwelenden Widerstandes werden. Kein Zweifel: Das Auftreten der Etrusker war die Geburtsstunde des römischen Volksbewußtseins.
    Das Volk hatte natürlich

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