Calendar Girl
Fo in der Küche singen. Er singt falsch und fröhlich und ich freue mich, das zu hören, denn in letzter Zeit war er oft so geistesabwesend, knurrig und noch ruhiger als sonst. Bei einem anderen Menschen hätte ich gesagt, er hat Depressionen - aber Fo und Depressionen? Er ist die Ruhe selbst, der Fels in der Brandung, unerschütterlich und ganz sicher kein Sensibelchen.
Ich werfe meinen Rucksack ab und öffne die Küchentür. Fo rührt in einer Pfanne herum, irgendwas schmort im Ofen vor sich hin, ich sehe eine Salatschüssel und es riecht himmlisch.
Ich klaue mir ein Stück Tomate aus der Salatschüssel, stelle mich auf die Zehenspitzen und gebe Fo einen Kuss auf die Wange. Er hört auf zu singen und wirft mir einen komischen Blick zu. »Hoi«, sagt er.
»Hoi, Großer.« Ich hocke mich an den Küchentisch, stemme meine Füße gegen den Nachbarstuhl und greife nach der Zeitung. Kleinanzeigen, Stellenangebote, Schlagzeilen. »Der Architekt hat gekündigt«, sage ich und überfliege die Stadtteilnews. »Aber ich hab schon einen Neuen.«
»Gut.« Er schiebt den Pfanneninhalt in eine Schüssel, dreht sich um und verschränkt die Arme über dem Bauch. »Was machen eigentlich deine Pläne, das Abi nachzuholen?«
Ich lege die Zeitung weg und strecke mich. »Du hörst dich an wie meine Ma«, sage ich. »Was gibt das, Fo? Väterliche Anwandlungen?«
Ein Muskel in seiner Wange zuckt. »Das war unfair«, sagt er sanft. »Ich bin nicht so viel älter als du, Deern.«
»Dann hör auf, mich zu bevormunden.« Ich finde selbst, dass das ein bisschen zu scharf klingt, und lächele ihn extra süß an. »Du bist doch mein Fokkobärchen.«
Wieder zuckt der Muskel. Fo scheint eine Antwort hinunterzuschlucken, die mir ganz sicher nicht gefallen hätte. Er dreht sich um und hakt mit einer gewissen Wut auf einer Zwiebel herum. Ich habe ein schlechtes Gewissen. Er war so unglaublich lieb, als ich mich von Yoshi getrennt habe. Ich wollte nicht in unsere Wohnung zurück, da hat er mir angeboten, bei ihm unterzuschlüpfen und hat meinen Kram dort rausgeholt. Ich muss lächeln, als ich daran denke. Yoshi hatte mir ein paar ziemlich böse Sachen gesagt und mir gedroht, dass er mir mein Zeug nicht herausrückt. Ich kann mir vorstellen, wie blöd er geguckt hat, als der friesische Riese vor seiner Tür stand. Fokko hat mir nie genau erzählt, was vorgefallen ist, aber ich glaube, er hat Yoshi eine reingehauen. Mein Freund Fokko. Der sanfteste, geduldigste, friedlichste Mensch der Welt.
»Woran denkst du?«, fragt Fo.
Ich reiße mich von meinen Erinnerungen los und schenke ihm ein echtes Lächeln, eins, das ganz von unten kommt. »Ich hab einen doofen Tag gehabt«, sage ich zu meiner Entschuldigung.
Er nickt. Entschuldigung angenommen. »Deck den Tisch«, sagt er. »Das Essen ist fertig.«
4
Die Überwachungskamera zeigte eine kleine, dunkelhäutige Frau mit straff zurückgebundenem Haar. Jeans, eine Sweatjacke, Sneaker. Ein Rucksack, der lässig über einer Schulter hing. Sie stand wie eine Tänzerin, fest auf beiden Beinen, die Hände locker an den Seiten, mit geradem Rücken und entspannten Schultern.
Philipp betrachtete sie noch einige Atemzüge lang, ehe er den Türöffner betätigte. Wenig später stand sie vor ihm, ein Mädchen wie tausend andere - bis auf die reizvolle Farbe ihrer Haut, ein warmes Toffeebraun, die kaum zu bändigende Fülle ihrer Locken und die strahlenden, schwarzen Augen. »Hi, ich bin Caro«, sagte sie und streckte ihm die Hand entgegen.
»Schön, dass du da bist«, sagte er. »Komm herein. Ist es okay, wenn wir uns gleich duzen?«
»Geht klar«, antwortete sie. Er beobachtete sie aus dem Augenwinkel, während er neben ihr herging. Sie sah sich ungeniert um, bestaunte die riesige Sitzlandschaft, den Beamer, die geschwungene Bar, die Installation an der westlichen Fensterfront, den herrlichen Blick über den Hafen. Sie war sichtlich beeindruckt, aber nicht eingeschüchtert. Intelligent. Wach. Wahrscheinlich temperamentvoll. Wunderbar.
»Möchtest du was trinken?«, fragte er und deutete auf die Bar.
Sie schüttelte den Kopf und ließ ihren Rucksack von der Schulter gleiten. »Danke. Was kann ich für dich tun?«
Er öffnete den Kühlschrank und holte einen Bitter Lemon heraus. »Wirklich nicht?«, fragte er und öffnete die Flasche. »Okay. Ich bin beruflich sehr eingespannt und brauche jemanden, der mich ein bisschen motiviert. In den Arsch tritt, um es genauer zu sagen.« Er warf Eiswürfel in ein
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