Calendar Girl
Jeans hinterher und nickte nachdenklich. Carlotta hatte sich bei dem Shooting unerwartet gut präsentiert, auch wenn sie sich bei ihm über alles Mögliche beschwert hatte. Er hatte sie noch nie so gesehen - seinem Blick durch den Sucher seiner Spiegelreflex so ausgeliefert. Nahezu unbekleidet. Schutzlos.
Natürlich hatte er Caro in dem halben Jahr, seit sie sich seine Wohnung teilten, auch schon nackt gesehen. Sie pflegte unbekleidet zu schlafen und zog auch für den Weg ins Bad nicht immer unbedingt einen Morgenmantel an. Er mochte ihre Figur. Caro war nicht sehr groß, aber durchtrainiert, schlank, aber nicht dünn, sondern an den richtigen Stellen sanft gerundet. Und sie hatte dieses unbekümmerte Grinsen, mit dem sie ihn zu bedenken pflegte, wenn sie wieder mal hüllenlos vor seine Füße lief.
Er starrte finster auf die Fotos, die er von ihr gemacht hatte. Aus welchen Gründen auch immer - sie hielt ihn für asexuell. Oder für schwul, er wusste es nicht. Aber noch sehr viel wahrscheinlicher machte sie sich überhaupt keine Gedanken über seine sexuelle Orientierung oder seine Wünsche. Er war nicht ihr Typ. Für sie war er der liebe, zuverlässige Fo, ihre »beste Freundin«, ein überdimensionaler, knuddeliger Stoffbär. Es war zum Kotzen.
Und hier waren ihre Bilder, eins schärfer als das andere. Er hatte Mühe gehabt, seine professionelle Neutralität zu bewahren. Das war ihm noch nie passiert. Er war ein gefragter Aktfotograf, seine Bilder wurden häufig abgedruckt, noch häufiger wurde er privat gebucht. Eine Galerie in der Nähe der Oper stellte regelmäßig seine Fotos aus. Er war noch nie bei einem Shooting in Wallung geraten, und er hoffte inständig, dass das auch nie geschehen würde. Er war nur der Fotograf. Bis auf Gudrun, seine Ex, kamen seine Modelle von einer Agentur, von der Uni oder von der Kunstakademie. Es waren ein paar Schauspielerinnen darunter, zwei Tänzerinnen, ein paar Mädels aus der Modebranche. Keine von ihnen hatte ihn je angetörnt und die nüchterne Atmosphäre seines Studios trug auch nicht zu irgendwelchen Anwandlungen in diese Richtung bei. Im Gegenteil.
Er begann aufzuräumen, rollte Kabel zusammen, stellte den Stuhl wieder in die Ecke mit den Möbeln, warf Handschellen und Lederbänder in eine, die Wäsche in eine andere Kiste. Das Zeug musste auch mal wieder gereinigt werden, es klebte Schminke daran.
Dann blieb er mitten in dem kahlen, halbdunklen Raum stehen, stemmte die Hände in die Seiten und senkte den Kopf. Er war das alles so leid. Vielleicht war es an der Zeit, wieder seinen Rucksack zu packen und eine Auszeit zu nehmen. Amazonas. Fotos von Orchideen und Papageien. Oder Ostasien. Er war noch nie in Kambodscha gewesen. Angkor Wat war ein lohnendes Ziel für einen Fotografen. Hongkong. Wolkenkratzer und wimmelndes Leben. Ganz gleich, es gab tausend interessante Orte auf der Welt. Alles war gut, wenn es ihn nur von seinen Grübeleien ablenkte.
Er schob den Stuhl an seinen Arbeitstisch, löschte das Licht und schloss die Tür.
3
Ich laufe verschwitzt und nicht besonders gut gelaunt im Studio ein. Hier habe ich nur eine Teilzeitstelle, aber immerhin kann ich mit dem, was ich verdiene, meinen Anteil an der Haushaltskasse bezahlen.
Das Fitnessstudio ist keine dieser billigen, nach Schweiß und Testosteron stinkenden Muskelbuden, sondern ein Studio für die etwas ältere, etwas besser betuchte Klientel. Es macht Spaß, hier zu arbeiten. Meistens jedenfalls.
Ronnie nickt mir zu. »Kaffee, Schätzchen?«
Ich sage nicht nein, schwinge mich auf den Barhocker und verstaue meine Tasche unter meinen Füßen. Ronnie lässt heißen Dampf in die Tasse zischen und schiebt mir schweigend einen Teller mit Keksen hin. Die Chefin sieht es nicht gerne, wenn wir Angestellten an der Bar sitzen, aber noch ist außer Ronnie und mir niemand da, den es stören könnte. Die Musikanlage ist laut aufgedreht, irgendein Hardrock-Stück. Nachher wird wieder Fahrstuhlmusik laufen, wie Ronnie sie nennt.
Der Kaffee ist heiß und stark und ich beginne mich zu entspannen.
»Schlecht gelaunt?«, fragt Ronnie. Ich hebe die Schultern.
»Mein Architekt hat gekündigt«, sage ich.
Sie verzieht das Gesicht. Dr. Hellstrom war ein guter, zuverlässiger Kunde, mit dem ich regelmäßig trainiert habe. Es ist nicht so einfach, Kunden fürs Personal Training zu finden - hier im Studio kann ich schlecht meine Karte verteilen, auch wenn ich das gelegentlich riskiere.
»Tut mir leid«, sagt Ronnie.
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