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Caligula - Eine Biographie

Caligula - Eine Biographie

Titel: Caligula - Eine Biographie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aloys Winterling
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Erfahrungen und die Strukturen, die er hinterließ, bestimmten weiterhin das Handeln derer, die ihn überlebt hatten. Das Volk strömte zum Forum, dem Ort, wo die Volksversammlungen stattfanden, und forderte aufgebracht und energisch die Bestrafung seiner Mörder. Trotz der Konflikte der letzten Zeit war Caligulas Beliebtheit bei den einfachen Leuten Roms ungebrochen. Die Senatoren versuchten, die Gunst der Stunde zu nutzen. Die Konsuln beriefen eine Senatssitzung auf dem Kapitol ein und ließen umgehend die kaiserlichen Geldvorräte dorthin schaffen. Die
cohortes urbanae,
die Polizeitruppen Roms, gehorchten ihren Befehlen und besetzten Kapitol und Forum. In einer erregten Senatsdebatte wurde über die Zukunft gestritten. Es erhoben sich Stimmen, die die Kaiserherrschaft beenden und die «Freiheit», das heißt eine Senatsherrschaft im Stil der späteren Republik wiederherstellen wollten. Einige wollten sogar die Erinnerung an alle vorherigen Kaiser tilgen und ihre Tempel zerstören. Der Konsul Sentius Saturninus war einer von ihnen und hielt eine mitreißende Rede. Caligula wurde als Steigerung und Höhepunkt der Gewaltherrschaft seit Iulius Caesar dargestellt, das Kaisertum insgesamt als Tyrannis, die die Willkür einzelner an die Stelle von Freiheit und Recht gesetzt habe. Es fehlte aber auch nicht an Selbsterkenntnis: «Gewiß hat jüngst der Tyrannei nichts größeren Vorschub geleistet als die Trägheit derer, die gegen den Willen des Machthabers auch nicht den leisesten Widerspruch zu erheben wagten. Eingelullt in süße Ruhe und an ein sklavisches Dasein gewöhnt, haben wir aus Furcht vor dem Tode, wäre er auch noch so ehrenvoll gewesen, selbst die größte Schmach still ertragen und den Kränkungen der Unseren ruhig zugesehen.» (Ios.
ant. lud.
19, 180f.)
    Tatsächlich war Saturninus selbst einer derjenigen gewesen, die sich in besonderer Weise dem Kaiser untertan gezeigt hatten, sonst hätte er kaum in jenen Tagen als Konsul amtiert. Iosephus berichtet, daß nach der Rede ein Senator aufsprang und ihm einen Ring mit dem Bildnis des Caligula vom Finger zog, der Saturninus als einen besonderen Günstling des eben beseitigten Tyrannen auswies. Das Freiheitspathos konnte wenig ausrichten gegen die bestehenden Machtstrukturen und Verhaltensdispositionen, die auch das Handeln der Senatoren steuerten. Ja, es zeigte sich schnell, daß in Wirklichkeit die doppelbödige Kommunikation innerhalb der Aristokratie, die Caligula durch seine Zynismen hatte leerlaufen lassen, fröhliche Urständ feierte und daß die Debatte eigentlich um die Frage kreiste, wer neuer Kaiser würde. Drei Aspiranten werden namentlich genannt. Sie entstammten dem Kreis der Senatoren, die bis zum Schluß in engem Kontakt zu Caligula gestanden hatten und die dann auch unter Claudius zu den kaiserlichen Günstlingen gehören sollten. Valerius Asiaticus’ Ambitionen auf den Thron, so wird berichtet, wurden vonAnnius Vinicianus zurückgewiesen. Dieser hatte dasselbe Ziel im Blick und versuchte es ein Jahr später erneut: Er war eine der beiden Zentralfiguren der ersten großen Verschwörung gegen Claudius. Der dritte Prätendent war Marcus Vinicius, der Schwager Caligulas. Sein Vorpreschen wurde von den beiden Konsuln, also Pomponius, der laut Dio noch tags zuvor Caligula beim Gastmahl die Füße geküßt hatte, und Saturninus abgeblockt. Man wird nicht fehlgehen in der Annahme, daß letzterer mit seiner Freiheitsrede primär den Zweck verfolgte, sich selbst als möglichen Kaiserkandidaten in Stellung zu bringen. Die Senatsdebatte dokumentierte in verdichteter Form noch einmal die Paradoxie der Zeit, die auch Caligulas kurze Herrschaft dominiert hatte und der er in neuer Weise entgegengetreten war: Das Kaisertum wollte niemand, Kaiser sein wollten alle.
    Wenn schon die Senatoren sich nicht auf die «Freiheit» verständigen konnten, so noch viel weniger die anderen. Während sich die Senatssitzung immer mehr in die Länge zog, waren längst neue Fakten geschaffen worden. Nachdem die einfachen Prätorianersoldaten, die ja nichts von der Verschwörung gewußt hatten, eine Zeitlang erregt umhergelaufen waren und nach den Mördern des Kaisers gesucht hatten, versammelten sie sich zu einer Beratung. Dies dürfte die Stunde der beiden Präfekten gewesen sein, deren Auftritt nun gekommen war. Interesse an einer Senatsherrschaft gab es verständlicherweise nicht; auf einen vom Senat benannten Prätendenten wollte man nicht warten. Die eigene Bedeutung

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