Caligula - Eine Biographie
Textstellen etwas genauer anschaut, stellt man allerdings fest: Er gibt dabei kein psychologisches Urteil ab, sondern wirft dem toten Kaiser haßerfüllt tyrannisches Verhalten und Vernichtung der Freiheit vor. Er beklagt die Schande, die dem römischen Reich daraus erwachsen sei. «Wahnsinn» wird als Schimpfwort benutzt, um Unmoral und Durchbrechung aller aristokratischen Konventionen zu geißeln. In ähnlichem Sinne spricht Seneca auch von «Wahnsinn», wenn er Frauen beschreibt, die in übertriebenem Luxus zwei bis drei aristokratische Familienvermögen an den Ohren hängen hätten. Schließlich ist bemerkenswert, daß er auch Alexander den Großen an verschiedenen Stellen seiner Schriften mit nahezu identischen Wendungen als «wahnwitzigen» und «größenwahnsinnigen» jungen Mann beschimpft – eine Parallele, gegen die Caligula nichts einzuwenden gehabt hätte.
Bei den beiden jüdischen Autoren Philo und Iosephus steht der Vorwurf des Wahnsinns
(mania)
im unmittelbaren Zusammenhang mit der göttlichen Verehrung, die sich Caligula erweisen ließ. Auch hier handelt es sich um eine Beschimpfung, die diesmal auf die – aus jüdischer Sicht – Blasphemie des Kaisers und die daraus erwachsenen Bedrohungen des jüdischen Volkes antwortet. Der Kaiser selbst zeigt, wie zu sehen war, in den Schilderungen beider Autoren nicht nur keinerlei psychopathische Eigenschaften, vielmehr werden ihm sogar besondere psychologische Qualitäten im Durchschauen seinerGesprächspartner (bei Philo) und überlegene rhetorische Fähigkeiten (bei Iosephus) bescheinigt.
Der Ältere Plinius, der von der
insania
des Caligula spricht, charakterisiert damit dessen Bautätigkeit in Rom – und schreibt im gleichen Satz, dieser «Wahnsinn» sei vom privaten Bauluxus des Marcus Scaurus, dem Stiefsohn Sullas, überboten worden. Tacitus’ Erwähnung des «verwirrten Verstandes» (
turbata mens)
des Kaisers leitet die Aussage ein, daß «es ihm gleichwohl nicht an Redekraft mangelte» (Tac.
ann.
13, 3, 2). Daß auch hier vor allem ein moralisches Verdikt über den Kaiser gesprochen werden soll, zeigen die übrigen Stellen, in denen Tacitus auf Caligula zu sprechen kommt: Stets ist die Rede von Launenhaftigkeit, Heimtücke, Verstellung, Verschlagenheit oder Jähzorn. So überrascht es denn auch nicht, daß Caligula keineswegs der einzige Kaiser war, dem man «Wahnsinn» vorwarf. Tiberius, Claudius und Nero ging es ebenso.
Wer aber kam auf die Idee, Caligula sei psychisch krank gewesen? Sueton ist es, der dies – nach Lage unserer Überlieferung – als erster behauptet. Dem Kaiser, so schreibt er, habe es an körperlicher und geistiger Gesundheit gemangelt. Er habe schon in der Kindheit an Epilepsie gelitten und sei auch später von plötzlichen Ermattungen befallen worden. Angstausbrüche, starke Schlaflosigkeit und wirre Traumbilder hätten ihn geplagt. Seine geistige Krankheit habe er auch selbst bemerkt und häufig über einen Rückzug von seinen Tätigkeiten und über eine «Kur seines Gehirns» (de
purgando cerebro)
nachgedacht.
Ein knappes Jahrhundert also brauchte es, bis aus dem Schimpfwort Realität geworden war und der römischen Aristokratie, die unter Caligula gelitten hatte, diese zweifelhafte Ehrenrettung zuteil wurde. Und ihr Autor war kein Senator, sondern ein ehemaliger kaiserlicher Sekretär von ritterlichem Stand, der antiquarische Studien betrieb und anekdotengespickte Biographien der Kaiser verfaßte. Als Begründung für den Zustand des Kaisers fügt er noch an: «Man glaubt, daß ihm von seiner Gattin Caesonia ein Liebestrank verabreicht worden ist, der ihn aber zum Wahnsinn trieb.» (Suet.
Cal.
50, 2) Wieweit Sueton bei der Erfindung des wahnsinnigen Caligula selbst kreativ tätig war und wieweit er dazu auf andere Zeugnissefrischen Hasses zurückgreifen konnte, die Historiker wie Tacitus nicht der Überlieferung für würdig erachteten, sei dahingestellt. Aufschlußreicher ist die Tatsache, daß seine Caligula-Biographie fortan erfolgreich das Bild dieses Kaisers prägte.
Suetons Werk entstand in einer Zeit, als nach mehr als einem Jahrhundert der blutigen Konflikte zwischen Kaisern und Aristokratie Ruhe und Entgegenkommen die Verhältnisse bestimmten. Die Herrscher von Nerva bis Marc Aurel (96–180) legten äußerlich aristokratische Bescheidenheit an den Tag, und die römische Senatsaristokratie schien sich mit dem nun erträglich gewordenen Kaisertum abgefunden zu haben. Die Erinnerung an einen Kaiser, der in
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