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Caligula - Eine Biographie

Caligula - Eine Biographie

Titel: Caligula - Eine Biographie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aloys Winterling
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stieg, wenn man selbst den Kaiser machte. Schnell einigte man sich auf Claudius, der der Treue der Soldaten gegenüber der Dynastie entgegenkam. Er wurde auf dem Palatin ausfindig gemacht, wo er sich im Trubel der Ereignisse in Sicherheit gebracht und versteckt hatte, auf der Area Palatina zum Kaiser ausgerufen und ins Prätorianerlager getragen. Auch auf dem Forum wollte man von republikanischer «Freiheit» nichts wissen. Das Volk schlug sich ebenfalls auf die Seite des Claudius und hoffte zugleich, dadurch Thronstreitigkeiten und drohendem Bürgerkrieg zu entgehen.
    Botschafter wurden zwischen Senat und Prätorianerlager hin und her gesandt, wobei der jüdische König Agrippa, derVertraute des Caligula, geschickt im Sinne des Claudius agiert haben soll. Mitten in der Nacht kippten die Machtverhältnisse endgültig. Nur noch 100 Senatoren waren im Senat anwesend. Die anderen hatten sich vorsichtshalber in ihre Häuser zurückgezogen. Schließlich schlossen sich auch die Stadtkohorten den Prätorianern und Claudius an. Die wenigen Stunden, in denen die Senatoren an ihre Macht geglaubt hatten, waren vorbei. Statt dessen wuchs die Angst vor dem neuen Kaiser.
    Am Morgen wurde Claudius in den Palast gebracht. Er verkündete ein Donativ von 15.000 (bzw. 20.000) Sesterzen für jeden Prätorianer. Der Senat erkannte ihn als Kaiser an und verlieh ihm die üblichen Rechte und Ehren. Cassius Chaerea, Lupus und die am Mord beteiligten Zenturionen wurden hingerichtet. Sabinus nahm sich das Leben. Agrippa soll es gewesen sein, der die grausam entstellte Leiche des Caligula barg. Sie wurde in die lamischen Gärten gebracht und dort notdürftig beerdigt.

Die Erfindung des wahnsinnigen Kaisers
    «Des Tiberius und Gaius wie des Claudius und Nero Taten», schreibt Tacitus zu Beginn seiner
Annalen,
«sind zu ihren Lebzeiten aus Furcht verfälscht, nach ihrem Tod in frischem Haß niedergeschrieben worden.» (Tac.
ann.
1, 1, 2) Die denunziatorische Entwertung der toten Kaiser bildete das unmittelbare Gegenstück zu ihrer unterwürfigen Verehrung zu Lebzeiten. Die römische Aristokratie bestand nicht schon deshalb aus moralisch minderwertigen Menschen. Genauer gesagt: Moralische Kategorien sind hier – ebenso wie bei den Kaisern – ungeeignet zur Erklärung dessen, was geschah. Die Senatoren waren vielmehr Opfer der neuen Verhältnisse und ihrer alten Verhaltensdispositionen, die nicht mehr dazu paßten. Die wenigen, die sich nicht mit der Kaiserherrschaft abfinden – oder selbst Kaiser sein – wollten, versuchten Verschwörungen und machten die Sache nur noch komplizierter. Diejenigen, die das traditionelle aristokratische Streben nach Macht und Ehre den neuen Verhältnissen am besten anpaßten, fielen durch ihren Opportunismus unangenehm auf. Gelegentlich waren es dieselben Personen, die in beiden Hinsichten herausragten. War die inflationäre Schmeichelei einmal in Gang gesetzt, blieb allen anderen nichts anderes übrig, als einzustimmen und mitzumachen.
    Unter Caligula nun waren die Senatoren mit Erfahrungen konfrontiert worden, die alles zuvor Erlebte in den Schatten stellten. Nicht einmal willkürliche Morde konnte man ihm vorwerfen. Nein, er hatte einfach nur ihrer Unterwürfigkeit freien Lauf gelassen und sie dabei zynisch ernst genommen. Er hatte der Aristokratie Roms einen Spiegel vorgehalten und ihr die Paradoxien ihrer Gesellschaft und die Absurdität ihres eigenen Verhaltens vor Augen geführt. Er hatte sie damit lächerlich gemacht und ihre Selbstdemütigung zum Höhepunkt geführt. Ohnmächtig hatten die Senatoren dieses Spiel erdulden und mitmachen müssen. Welche Form nahm der «frische Haß» nach seinem Tod an?
    Aufschlußreich ist die Rede, die der Konsul Sentius Saturninus nach dem Mord im Senat hielt und die Iosephus wörtlich aus seiner römischen Quelle zitiert: Gegen Caligula wurde der Vorwurf der extremen Tyrannis erhoben. Man zog sich also auf altbewährte Deutungsmuster zurück. Auf die Idee, ihn für wahnsinnig zu erklären, ist offensichtlich niemand gekommen. Wie sollte man auch? Gerade die Wortführer im Senat waren es ja gewesen, die bis zum Schluß das aristokratische Gefolge des Kaisers gebildet hatten, und mit der unglaubwürdigen Behauptung, einem Geisteskranken gedient zu haben, hätten sie sich und der Aristokratie insgesamt nur neue Peinlichkeiten beschert.
    Seneca ist der erste, der wenig später in seinen Schriften vom Wahnsinn, von
furor
und
insania
des Caligula spricht. Wenn man sich die

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