Callgirl
die ihm nicht in die Augen sehen konnte. »Ich würde dich gern privat treffen«, sagte ich.
Er lächelte. »Das wäre wundervoll«, sagte er ernst.
»Außerdem«, erklärte ich wagemutig, »wollte ich dir noch etwas sagen – ich heiße nicht wirklich Tia. Mein richtiger Name ist Jen.«
»Jen gefällt mir besser. Wäre es dir zu früh, wenn wir uns für morgen Abend verabreden? Ich könnte dich abholen, wir könnten zusammen bei Biba essen gehen.«
»Ja – ich meine nein, es ist mir nicht zu früh.« Ein Teil von mir durchsiebte das Gespräch bereits nach Ungereimtheiten, stolperte darüber, dass er sich Harvard, diese Wohnung und Freitagabende bei Biba leisten konnte, aber nicht genug Geld hatte, um für meine Gesellschaft zu zahlen. Doch sogar als mir dieser Gedanke kam, fühlte ich mich gleichzeitig vor Glück überwältigt. Er mochte mich und wollte eine Beziehung mit mir. Das war es, was ich glauben wollte. Das glaubte ich.
Das ist bekanntlich nichts Neues bei uns. Frauen finden immer eine Möglichkeit, um auch die unwahrscheinlichste Geschichte zu glauben. Callgirls unterscheiden sich da offenbar nicht sonderlich vom Rest der Spezies.
Von da an trafen wir uns regelmäßig.
Bei unseren Gesprächen ließen wir natürlich vieles unter den Tisch fallen. Wie die Tatsache, dass ich immer noch für Peach arbeitete. Wie die Tatsache, dass er mich nur spätabends traf und mich nie seinen Freunden vorstellte, von denen er ständig erzählte. Wir ignorierten diese Themen, machten einen großen Bogen darum, und manchmal warfen sie einen Schatten auf meine Gedanken, aber es gelang mir immer besser, den Schatten auszuweichen.
Es machte Spaß … es war schön. Wir besuchten ausländische Spezialitätenrestaurants, probierten exotische Gerichte und diskutierten bei Seezunge in Käsesauce oder Shish-Kebab oder Sushi über Literatur, Politik, Technik, Ethik. Wir schauten uns ausländische Filme am Kendall Square und an der Coolidge Corner an. Wir hörten uns neue Bands im Middle East am Central Square an, Jazz bei Sculler’s und Blues in Wally’s Café. In meine Wohnung gingen wir nie. Kai sagte, er hätte eine Katzenallergie. Von daher schien es nur angemessen, dass wir am Ende des
Abends immer zurück zu seiner Wohnung am Broadway fuhren, wo wir oft die Nacht zusammen verbrachten.
Seine Manieren waren tadellos. Seine Gedanken blieben mir verborgen.
Peach wusste, dass etwas im Busch war. Ich erzählte ihr schließlich die Wahrheit, als ich erkannte, dass sie viel Schlimmeres vermutete, nämlich dass ich mich berufsmäßig mit Kai traf und sie um ihren Anteil betrügen wollte.
Sie zuckte die Achseln, zeigte sich nicht im Mindesten überrascht, sondern nur leicht verärgert über den Verlust eines Kunden. Ihr Ärger hielt sich in Grenzen, weil sie natürlich wusste, dass der Verlust nur vorübergehend sein würde. Aber diesen Gedanken behielt sie für sich. »Als du angefangen hast, habe ich dir prophezeit, dass du dich irgendwann in einen Kunden verlieben wirst«, erklärte sie geringschätzig. »Das passiert allen. Es gibt immer einen. Du tust, was du tun musst, und dann tust du es nicht mehr.«
Wenn du noch einen Funken Verstand hast, tust du es nicht. Ich kenne ein oder zwei Frauen, die es versucht haben, und es funktioniert nicht, ganz gleich, wie sehr du es dir wünschst. Die extrem ungleiche Ausgangsbasis der Beziehung lässt sich nie gänzlich aus der Welt schaffen. Zum einen nimmt der Mann an, dass der Sex immer so bleiben wird, wie in der Zeit, als er dafür bezahlte. Es ist der Job einer Prostituierten, dafür zu sorgen, dass der Mann sich wohl fühlt. Ihre eigenen Wünsche und Vorlieben spielen keine Rolle. Sie ist eine Stunde lang intensiv auf seine Bedürfnisse konzentriert. Sobald die beiden eine Beziehung eingehen, verschwindet diese Intensität. Er wird zwangsläufig von ihr enttäuscht sein, weil sie jetzt menschlich ist, Kopfschmerzen bekommt, Stimmungsschwankungen unterliegt und eigene Wünsche und Bedürfnisse anmeldet.
Peach wusste all das, und sie wusste, dass es besser ist, wenn die Sache zu Ende geht, bevor dieser Punkt erreicht ist. Aber dieses
Wissen machte sie nicht unbedingt zur idealen Ansprechpartnerin, wenn man Zuspruch oder Mitgefühl suchte. »Es ist einfach passiert«, sagte ich hilflos. »Ich hab ihn wirklich gern, Peach.«
Ich traf mich also weiterhin mit Kunden und erzählte Kai, dass ich an manchen Abenden nicht mit ihm ausgehen könne, weil ich arbeiten müsse. Ich gab
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