Callgirl
anruft, tu mir einen Gefallen und lass mich den Termin machen, ja?«
»Er hat schon angerufen«, sagte sie. »Er will nur dich sehen. Du hast einen neuen Stammkunden, Schätzchen.«
Und zwar genau so lange, bis ich eines Abends nicht zur Verfügung stehe, wenn er wieder anruft … Die Loyalität von Peach hatte ihre Grenzen: Sie endete, wo die Gewinn- und Verlustrechnung anfing. Sie würde ihn dazu überreden, sich mit einem anderen Callgirl zu treffen, wenn ich keine Zeit hatte.
Peachs Stimme durchbrach meine Gedanken. »Möchtest du noch einen Kunden heute Nacht? Es ist erst halb zwölf. Ich kann dir bestimmt noch was vermitteln, wenn du ein paar Minuten wartest.«
Die Vorstellung, in dieser Nacht noch einen anderen Kunden anzunehmen, kam mir irgendwie unpassend vor – fast wie ein Sakrileg. Normalerweise machte es mir nichts aus, von einem Mann zum nächsten zu fahren, aber heute haperte es mit meiner üblichen Selbstbeherrschung als Callgirl. Heute Nacht war es anders. Heute Nacht war ich lächelnd und summend und ohne das Geld zu zählen von einem Kunden gekommen.
»Peach, ich melde mich für heute ab. Es ist zu kalt. Ich möchte nach Hause und mich mit Scuzzy aufs Sofa kuscheln.«
Das war Sonntagabend. Am Donnerstag, als ich gerade mein Abendessen aus dem Ofen holte, klingelte das Telefon. Es war Peach. »Arbeit für dich. Dein Stammkunde in Cambridge hat angerufen. Er will dich heute Abend sehen.«
»Der Pakistani?«, fragte ich auf meine typisch lockere Art.
»Genau. Ruf ihn an. 555-7483. Und gib mir Bescheid, wenn du losfährst.«
Ich kritzelte die Nummer auf meine Papierserviette und spürte einen starken Anflug von Nervosität, als ich den Telefonhörer wieder aufnahm. Das ist lächerlich, schalt ich mich selbst. Er ist bloß ein Kunde. Einer, der mir sympathisch ist, aber das ist okay. Er macht meinen anderen Stammkunden in Cambridge wett, dem ich pausenlos erzählen muss, wie dick und groß er ist.
Als ich anrief, hörte ich keine Wärme in seiner Stimme. »Ja, Tia. Wann kannst du hier sein?«
Ich verrenkte mir den Kopf, um einen Blick auf die Uhr in der Kochnische zu werfen. »Ähm, es ist jetzt Viertel nach acht. Passt dir neun Uhr?«
»Ja, neun ist in Ordnung. Bis dann.«
»Ich freue mich«, sagte ich noch. Aber er hatte schon aufgelegt.
Ich ließ mein Abendessen auf dem Couchtisch stehen, ersetzte den Fernseher durch eine CD von Pat Benatar und öffnete den Kleiderschrank. Schwarzer Samtrock. Allzu ausgefallene Unterwäsche war nicht erforderlich. Er hatte es lieber, wenn wir uns im Dunkeln auszogen. Schwarzer BH, schwarzes Spitzenhemd, grauer Schal. Chanel No.5. Während ich mein Make-up vor dem Badezimmerspiegel auffrischte, fühlte ich mich plötzlich, als ob ich wieder 16 wäre und mich für ein Date zurechtmachte.
Scuzzy war auf den Toilettensitz gesprungen und beobachtete mich aufmerksam. »Ich gehe aus«, erklärte ich ihm. »Soll ich
mein Haar offen tragen oder es hinten zusammenbinden – was meinst du?« Nach seinem Blick zu urteilen, machte es keinen Unterschied. Er war wie üblich nicht beeindruckt. Ich ließ mein Haar offen.
Ich stellte das Autoradio auf volle Lautstärke, damit ich nicht nachdenken musste. Kai öffnete mir mit dem Summer die Tür zum Vestibül, und ich nahm den Fahrstuhl zum dritten Stock. Er stand wartend im Türrahmen.
Er sagte kein Wort. Ich ging über den Flur, schaute ihm in die Augen und sagte auch nichts. Plötzlich griff er nach mir und riss mich grob an sich. Ich schnappte nach Luft, als sein Mund meinen fand. Dann ging es alles andere als sanft zur Sache.
Wir schafften es gerade bis in den Vorraum des Apartments. Es gelang ihm noch, die Eingangstür hinter mir zuzuschlagen, aber da kniete ich schon auf dem Perser und nestelte am Druckknopf seiner Jeans.
Später sprach er unser Verhältnis an, als ob das Thema auf ihm gelastet hätte. Er zeigte mir gerade Fotos von seinen Eltern in Karachi, seinem Bruder in Paris. »Ich bin wahnsinnig gern mit dir zusammen«, sagte er, den Blick auf die Fotos gerichtet. »Ich hab dich wahnsinnig gern bei mir. Ich wünschte, ich könnte mir mehr als eine Stunde leisten. Ich würde dich gern zum Essen ausführen, mal mit dir ins Museum of Fine Arts gehen.«
Ich holte tief Luft. »Ja, das wäre schön.« Ich zögerte, wusste, dass ich mir eine neue Agentur suchen konnte, falls Peach dahinter kam. »Ich könnte dir meine Telefonnummer geben, meine private Telefonnummer.«
Er wartete. Jetzt war ich diejenige,
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