Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Callgirl

Callgirl

Titel: Callgirl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Angell
Vom Netzwerk:
Stadt, der mir immer wieder Rätsel aufgibt. Es schneit hier jeden Winter, aber alle sind jedes Mal total überrascht, so als ob sie nicht wirklich geglaubt hätten, dass es je wieder geschehen würde.
    Auf jeden Fall fahren sie alle so, als hätten sie das weiße Zeug noch nie im Leben gesehen.
    Die Parkplatzsituation entwickelt sich regelmäßig zum Albtraum. Nach jedem größeren Schneefall schaufeln die Leute ihre auf der Straße geparkten Autos vom Schnee frei und entwickeln dann die Überzeugung, dass ihre Anstrengungen ihnen gewisse
Besitzrechte an diesem kleinen Straßenstück verleihen. Sie bringen alte Küchenstühle nach draußen, diese Modelle aus Aluminium mit Sitz- und Rückenpolstern aus blankem Plastik, und stellen sie in die Mitte der freigeschaufelten Fläche, um den Platz für sich zu reservieren.
    Ich hatte lange genug in Boston gelebt, um über diese Praxis zu schimpfen, sie aber trotzdem zu respektieren. Man will nicht mit jemandem herumstreiten, der gerade einen Herzinfarkt riskiert hat, um den ganzen Schnee beiseite zu räumen, und verrückt genug ist, um Besitzansprüche auf ein Stückchen öffentlichen Eigentums zu erheben. Andererseits ist es vermutlich auch keine gute Idee, einfach wegzugehen und das Auto in der umstrittenen Zone allein zurückzulassen.
    Kurzum, ich war nicht sehr begeistert über den Kunden in Cambridge.
    »Er wird dir gefallen«, versicherte Peach mir am Telefon. Sie hatte gut reden; sie lag gemütlich zusammengerollt auf einem sehr weichen Sofa in einem gut beheizten Raum, las vermutlich einen spannenden Roman und nippte an einem exotischen Kaffeegetränk. »Du könntest ihn vielleicht als Stammkunden ködern. Er sagte, er möchte eine intelligente Frau.«
    »Deine Schmeicheleien kannst du dir sparen«, brummte ich, insgeheim erfreut über das Kompliment. Schließlich zog ich einen großen wattierten Mantel über mein kleines Schwarzes und machte mich auf den Weg. Ich parkte etwa sechs Blocks entfernt von dem Wohnhaus am Broadway und verfluchte den Kunden, während ich zu seiner Adresse stapfte und mir wahrscheinlich meine schönen West-Nine-Schuhe im Schnee ruinierte.
    In regelmäßigen Abständen musste ich einen größeren Schneehaufen umwandern, weil sich natürlich niemand die Mühe gemacht hatte, den Gehsteig frei zu räumen. Wozu auch? Dort konnte man ja keine Küchenstühle abstellen.
    Wir hatten minus sieben Grad, und der kalte Wind ließ einen
jeden Minusgrad einzeln spüren. Muss echt großartig sein, murmelte ich grimmig vor mich hin, wenn man in seiner schönen, warmen Wohnung bleiben und eine Sexbestellung aufgeben kann. Der ultimative Lieferdienst. Heute Nacht waren garantiert nur ich und der Mann vom Pizza-Service unterwegs.
    Der Kunde hatte sich am Telefon ganz nett angehört. Jung. Pakistaner. Intelligent. Er hatte mich nach meinem Lieblingsbrandy gefragt – keine Frage, die man mir jeden Tag stellte. Das gefiel mir.
    Seine Wohnung war umwerfend, anders kann man es nicht ausdrücken. Glänzend polierte antike Möbel, goldumrandete Gemälde an der einen Wand, bis zur Decke reichende Bücherregale an der anderen. Ein Perserteppich in leuchtenden Farben im Wohnzimmer. Ein Messing-Samowar auf einer Anrichte. Zeremonielle indonesische Marionetten über dem Schreibtisch. Er hatte ganz offensichtlich lohnende Reisen unternommen.
    Er bat mich, Platz zu nehmen, und servierte den Hine Antique, den er bereits in bauchige Gläser gefüllt hatte. Während wir uns unterhielten, schwenkte er seines ständig in der Hand.
    Er hieß Kai. Er las viel. Direkt neben uns stand eine ganze Reihe mit Romanen von Salman Rushdie. Ich vergaß, dass ich ihn verführen sollte. »Was hältst du von dem Todesurteil, das man gegen Rushdie ausgesprochen hat?«, fragte ich aus echter Neugier. Der Mann war Pakistani, also vermutlich auch Moslem. Allerdings passte das nicht zum Brandy; und wenn er das Edikt unterstützte, würde er die Bücher des Mannes wohl kaum lesen.
    Er schüttelte den Kopf. »Man sollte nicht versuchen, den Koran so auszulegen, wie es einem gerade passt«, sagte er mit sanfter, besorgter Stimme. »Das ist nicht der wahre Weg des Islam.«
    Es entstand eine kleine Pause. Ich nippte an meinem Brandy und spürte, wie sich die wohlige Wärme in meiner Brust und in meinem Magen ausbreitete. Es war ein schönes Gefühl, und es war schön, neben Kai auf dem Sofa zu sitzen.

    Das war natürlich das erste Warnsignal. Es tauchte auf, rauschte an mir vorüber und verschwand

Weitere Kostenlose Bücher