Cambion Chronicles - Golden wie das Morgenlicht (German Edition)
Angst. Das Wesen in uns war schon wenig vertrauenswürdig, wenn es sich von seiner besten Seite zeigte, doch wenn etwas schieflief, konnte es sich auch gegen seinen Wirt wenden. Wie oft hatte man mich ermahnt, vorsichtig zu sein, immer wachsam zu bleiben und niemals seine Macht zu unterschätzen, aber ich hatte ja nicht hören wollen.
Zu meiner Verteidigung konnte ich nur anführen, dass ich gedacht hatte, ich hätte mehr Zeit, um mich an alles zu gewöhnen – um mehr über die Welt der Cambions zu lernen und über die spezielle Ernährungsweise, an die ein Cambion gebunden war. Schließlich war ich nicht mit diesem Parasiten auf die Welt gekommen wie die anderen meiner Art, sondern hatte ihn als unerwünschtes Erbstück von einer lieben Freundin übernommen. Durch ihren vorzeitigen Tod hatte sie mir nicht nur einen Sukkubus, sondern auch einen Haufen Verantwortung hinterlassen.
Nur mein eigener Tod konnte diese böse Untermieterin aus ihrem neuen Domizil vertreiben, doch Selbstmord wäre mir nie in den Sinn gekommen, auch wenn meine Gedichte manchmal danach klangen. Das war einfach nicht meine Art, mit Problemen umzugehen, so tickte ich nicht. Außerdem würde Mom mich umbringen. Aber nach Liliths letzter Aktion fing ich glatt an, noch mal darüber nachzudenken.
»Wie bin ich hierhergekommen?«, fragte ich sie mit strenger, aber ruhiger Stimme, ohne allerdings eine ausführliche Antwort zu erwarten. Lilith kannte nicht viel mehr als ja und nein, sie war wie ein Orakel mit einer sehr beschränkten Auswahl an Antworten. Wenn sie tatsächlich auf eine Frage reagierte, dann meist in Form von Erinnerungsfetzen oder heftigem Vibrieren, das mein Rückenmark hochkroch. Aber jetzt blieb sie still in ihrem kleinen Eckchen in meinem Hinterkopf sitzen.
Ich bemühte mich, ruhig zu bleiben, und fuhr fort: »Lilith, du musst damit aufhören. Ich meine es ernst! Es tut mir leid, dass du bei der ganzen Sache zu kurz kommst, aber du musst dich damit abfinden. Das ist mein Körper, es sind meine Regeln, ich treffe die Entscheidungen.«
Immer noch keine Reaktion, was so viel bedeutete wie nein.
Ich rollte mich auf den Bauch und versuchte es mit Liegestützen, ich knallte absichtlich mit dem Bauch gegen die Decke, ich probierte alles, um mich von der Decke loszuwuchten. Keine Chance.
»Lilith! Lass mich jetzt runter!«
Bevor ich den Befehl ganz ausgesprochen hatte, setzte die Schwerkraft ein. Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen, als ich plötzlich fiel. Der Sturz dauerte länger, als er sollte, und mich ergriff ein schreckliches Gefühl der Schwerelosigkeit. Ich konnte nur ein Keuchen von mir geben, als ich mich immer weiter von der Decke entfernte und schließlich eine weiche Matratze meinen Fall bremste. Ich rang nach Atem, strich mir das Haar aus dem Gesicht und bemerkte, dass etwas Wichtiges fehlte. Mein Armband. Es war weg.
Mein Armband war nicht einfach irgendein Schmuckstück, sondern eher eine elektronische Fessel, die sich nur mithilfe einer Bandsäge wieder öffnen ließ. Sein eingebautes Ortungssystem übertrug normalerweise meinen aktuellen Aufenthaltsort an den Laptop meiner Mom, doch diese Sicherheitsmaßnahme war nun außer Kraft gesetzt.
Ich kletterte aus dem Bett und suchte in der vergeblichen Hoffnung, ich hätte es vielleicht in der Nähe fallen lassen, den Boden ab. Dann ging ich unruhig hin und her und rief mir die letzten Augenblicke ins Gedächtnis, an die ich mich noch erinnern konnte. Viel kam dabei nicht heraus. Zu dem, was zwischen 13.09 Uhr und 15.34 Uhr geschehen war, gab es auf meiner Festplatte keine Daten. Nur eine konnte diese Lücke füllen.
»Was hast du getan?«, fragte ich Lilith wieder.
Diesmal erregte ich ihre Aufmerksamkeit, und sie wurde munter. Vor meinem inneren Auge stieg ein Bild auf, eine Erinnerung daran, wie ich das Einmachglas mit Calebs Vierteldollarstücken in der Hand hielt, das immer auf der Kommode stand. Er hatte sie mir als Liebespfand gegeben. Ich erinnerte mich, wie ich herumgetanzt war und das Glas wie eine Rassel neben meinem Ohr geschüttelt hatte – nur eines der vielen peinlichen Dinge, die ich tat, wenn ich allein war und an meinen Freund dachte. Das Kuchenmonster und ich hatten es beide nicht so mit dem L-W ort, deswegen ließ Caleb lieber Kleingeld für sich sprechen. Das Bild tauchte aus dem Nichts in meinem Kopf auf, und ich begriff, dass die Vision als Hinweis gemeint war.
Ich ging zur Kommode und nahm das Münzenglas in die Hand. Darunter lag eine
Weitere Kostenlose Bücher