Cambion Chronicles - Golden wie das Morgenlicht (German Edition)
Geheimnisse zu bewahren – und so nah beieinander zu sein, war die reinste Folter.
Unsere emotionale Verbindung hatte uns zu siamesischen Zwillingen gemacht, die sich synchron in dem Takt bewegten, den die Wesen in uns vorgaben. Wir fingen sogar schon an, uns im Partnerlook anzuziehen, aber vielleicht waren daran auch einfach die Kleidervorschriften an unserer Arbeitsstelle schuld.
Als ich endlich das Café erreichte, hatte ich das vertretbare akademische Viertel weit überschritten, und Alicia Holloway, meine Barista-Kollegin und Schulkameradin, hatte kein Problem damit, mir das auch aufs Brot zu schmieren. Sie hatte allen Grund dazu, sich aufzuregen. Unsere sehr schwangere Cafémanagerin ließ sich nur noch sporadisch auf der Arbeit sehen, sodass wir Baristas ganz auf uns gestellt waren.
So wütend Alicia auch war, es ist schwierig, jemanden ernst zu nehmen, der wie eine dunkelhäutige Babypuppe mit Kulleraugen aussieht. Nicht, dass ich ihrer Tirade irgendetwas entgegenzusetzen gehabt hätte, aber ich verspürte den Drang, ihr in die Wangen zu kneifen und mit ihren Zöpfchen zu spielen.
Ich hatte mich allen gegenüber merkwürdig verhalten und musste das irgendwie wiedergutmachen, also konnte ich auch gleich mit ihr anfangen. Sie machte gerade ihren Lernführerschein, und ich nutzte diesen Umstand zu meinem Vorteil. Mein Versprechen, mit ihr fahren zu üben, glättete ihr gesträubtes Fell etwas, und wir konnten halbwegs friedlich miteinander arbeiten.
»Weißt du, dass Malik Davis von zu Hause ausgerissen ist?«, bohrte sie und zog die Lebkuchen aus dem Ofen.
»Hab ich gehört«, brummte ich.
»Ich habe die Polizei in die Schule kommen sehen, aber niemand weiß, wo er ist«, setzte sie nach.
In Wahrheit hatte seit über drei Monaten niemand den echten Malik Davis gesehen, aber davon wussten nur Caleb, Tobias und ich. Ich bezweifelte, dass irgendjemand Maliks Leiche finden würde – Tobias hatte es drauf, Dinge verschwinden zu lassen, einschließlich sich selbst.
Beim Gedanken an Tobias war ich dankbar für den Gedächtnisschwund. Wenigstens für einige wundervolle Minuten konnte ich den großen bösen Wolf vergessen, der sich im Schatten verbarg – einen gestaltwandelnden Inkubus, der noch eine Rechnung mit mir offen hatte. Ich hatte Tobias seit Stunden nicht gesehen, aber das hieß nicht, dass er nicht in der Nähe war. Er konnte überall sein, konnte jedermann sein. Er war ein ultimativer Meister der Verkleidung und Manipulation. Wenn er so weit ging, sich als mein toter Klassenkamerad auszugeben und bei dessen Familie einzuziehen, dann war alles möglich.
»Der taucht ganz bestimmt irgendwann wieder auf«, versicherte ich und stürzte hastig einen Espresso hinunter.
»Wie kommst du klar?«, fragte sie. »Ich meine, ich weiß ja, dass du und Malik eng befreundet wart und so.«
Fast hätte ich mein Getränk wieder ausgeprustet. »Was? Nein, waren wir gar nicht. Malik hat mir dauernd nachgestellt, nicht andersrum. Falls du es nicht bemerkt hast, ich habe bereits einen Freund.« Ich deutete in Richtung der Musikabteilung.
» Ich habe es sehr wohl bemerkt, aber bei dir bin ich mir da nicht so sicher«, erwiderte sie, und ihr giftiger Unterton entging mir keineswegs. Es überrumpelte mich etwas, dass dieses sonst so fröhliche kleine Engelchen plötzlich so zickig daherkam, also hakte ich nach.
»Du bist doch wohl nicht etwa verknallt in Malik, oder?«
»Nein!«, sagte sie etwas zu schnell.
Ich schnappte nach Luft. »Ogottogott, bist du doch!«
»Klappe. Bin ich nicht.« Sie verzog den Mund zu einer süßen kleinen Schnute und wischte weiter die Arbeitsflächen sauber.
Oh, das würde Tobias mir büßen. Er hatte sich nicht nur als einen der schlimmsten Weiberhelden der Schule ausgegeben, er zog auch jedes weibliche Wesen dort in seinen Bann, einschließlich der vertrauensseligen Zehntklässlerin, die mir nun böse Seitenblicke zuwarf. Wenigstens wusste ich jetzt, dass ich nicht ganz allein an der Misere schuld war, also konnte ich ruhigen Gewissens weiterarbeiten.
Nach Ladenschluss drängten sich die Angestellten am Ausgang, während Linda einen letzten Kontrollgang durch den Laden machte.
Wir standen zusammengepfercht im Korridor und sahen zu, wie die Lichter in den Abteilungen nacheinander verloschen. Mein Blick klebte an Caleb, der in einem Geheimcode mit mir sprach, ohne die Lippen zu bewegen. Ich verstand jedes Wort, ich spürte, wie die Energie, die unausgesprochenen Gefühle in Wellen
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