Camel Club 01 - Die Wächter
Treter. Er drückte sich eine Hand auf die Körperseite. Reuben neigte zu Nierensteinen.
»Du solltest mal in der Klinik vorsprechen, Reuben«, empfahl Stone.
Der Lange furchte die Stirn. »Mir gefällt’s nicht, wenn Fremde in mir rumstochern, das hab ich in der Armee oft genug erlebt. Also leide ich lieber still vor mich hin, wenn keiner was dagegen hat.«
Während des Wortwechsels war Milton Farb zu ihnen gestoßen. Er blieb stehen, scharrte dreimal mit dem rechten und zweimal mit dem linken Fuß im Dreck und krönte die Darbietung mit einer Anzahl von Knurr- und Pfeiflauten. Dann rasselte er eine Reihe von Zahlen herunter, die für ihn offenbar große Bedeutung hatten.
Geduldig warteten die drei anderen Männer, bis Milton fertig war; sie alle wussten, dass ihr Kumpel, falls sie ihn bei seinem Zwangshandlungsritual unterbrachen, von vorn anfangen musste, und es war ohnehin schon spät.
»Hallo, Milton«, grüßte Stone, kaum dass das Knurren und Pfeifen verstummt war.
Milton Farb hob den Blick und grinste. Er trug einen bunten Sweater und eine frisch gebügelte Khakihose; über einer Schulter hing ein lederner Ranzen. Er maß ungefähr einsachtzig und trug eine Drahtgestellbrille. Sein ursprünglich dunkelblondes, mittlerweile jedoch sichtlich von Grau durchzogenes Haar baumelte ihm in naturwüchsiger Länge auf den Rücken und verlieh ihm die Erscheinung eines Alt-Hippies. Dennoch wirkte er jünger, als er war, weil in seinen feuchten Augen ein schelmischer Ausdruck funkelte.
Milton tatschte auf den Lederranzen. »Ich hab was Gutes dabei, Oliver.«
»Na, dann wollen wir mal«, meinte Reuben, der sich nach wie vor die Seite hielt. »Ich muss morgen zur Frühschicht.«
Während das Quartett sich auf den Weg machte, huschte Reuben zu Stone und steckte ihm etwas Geld in die Hemdtasche.
»Das muss nicht sein, Reuben«, sagte Stone. »Ich kriege Knete von der Gemeinde.«
»Ja, aber ich weiß, dass sie dich schlecht dafür bezahlen, dass du Unkraut jätest und Grabsteine putzt, auch wenn sie dir ’n Dach überm Kopf geben.«
»Aber du kannst doch selbst kaum was entbehren.«
»Jahrelang hast du mir geholfen, weil ich niemanden beschwatzen konnte, mir Arbeit zuzuschustern.« Reubens Stimme wurde lauter. »Seht euch doch mal an, was für ein bunter Haufen wir sind. Wann sind wir eigentlich so erbarmungswürdig alt geworden?«
Caleb lachte, während Milton einen Moment entgeistert dreinschaute, bis er begriff, dass Reuben bloß Spaß machte.
»Das Alter kommt schleichend, aber wenn es da ist, kriegt man die Auswirkungen mit voller Wucht zu spüren«, sagte Stone und musterte seine Gefährten: drei Männer, die er seit Jahren kannte und die gute und schlechte Zeiten mit ihm durchlebt hatten.
Reuben war von West Point abgegangen, hatte sich in Vietnam während dreier Dienstzeiten mit Ruhm bekleckert und war am Ende mit jedem Orden und jeder Ehrung ausgezeichnet worden, die das Militär zu bieten hatte. Anschließend teilte man ihn der DIA zu, dem militärischen Geheimdienst. Doch schließlich schmiss Reuben der DIA die Brocken hin und wandelte sich zum lautstarken Protestler gegen den Krieg im Allgemeinen und den Vietnamkrieg im Besonderen. Als das Vaterland sich nicht mehr für die »kleinen Scharmützel« in Südostasien interessierte, wurde Reuben zum Mann ohne Daseinszweck. Für einige Zeit lebte er in England, kehrte jedoch in die Vereinigten Staaten zurück. Von da an blieben ihm kaum noch Möglichkeiten der Lebensführung, da er alle Brücken hinter sich abgebrochen hatte – und wegen beträchtlichen Drogenkonsums. Dann hatte er das Glück gehabt, Oliver Stone kennen zu lernen, der ihn dabei unterstützte, wieder Ordnung in sein Leben zu bringen. Derzeit stand Reuben auf der Gehaltsliste einer Lagerfirma, bei der er Lastwagen entlud und statt des Gehirns die Muskeln trainierte.
Caleb Shaw hatte zwei Doktortitel, in Politikwissenschaft und Literatur; spezialisiert hatte er sich auf die Literatur des 18. Jahrhunderts, fand persönlich jedoch Trost darin, sich nach der Mode des 19. Jahrhunderts zu kleiden. Genau wie Reuben war Caleb während des Vietnamkriegs, in dem er seinen Bruder verlor, als Protestler aktiv gewesen. Auch bei der Watergate-Affäre, die die Nation den letzten Rest politischer Unschuld gekostet hatte, erhob Caleb laut die Stimme gegen die Regierung. Ungeachtet aller akademischen Reputation war er seiner Exzentrizität wegen längst aus den etablierten Kreisen der Wissenschaft und
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