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Camp Concentration

Camp Concentration

Titel: Camp Concentration Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas M. Disch
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Kindersärge. Eine krächzende Stimme, wie Kasperle im Puppentheater. Aber schöne Augen (die gesteht man häßlichen Menschen freilich immer gern zu).
    Trotzdem - er hat wirklich außergewöhnliche Augen; sie sind feucht und zugleich lebhaft, sie lassen Tiefen ahnen, ohne sie je zu enthüllen. Doppeldeutige Augen.
    »Nein, bleiben Sie liegen«, sagte er, als ich aus dem Bett steigen wollte. Er zog einen Stuhl quer durchs Zimmer an mein Bett.
    »Was lesen Sie da? Oh, einen Bildband! Jetzt sind Sie schon eine ganze Weile hier, und keiner hat’s mir gesagt. Ich habe es erst von George erfahren. Es ist ein Jammer, aber ich war eine Zeitlang ...« Er machte über seinem Kopf eine vage Handbewegung. (Wie seine Füße sind auch seine Hände unverhältnismäßig groß. Seine Fingerkuppen sind breit wie die eines Arbeiters, die Finger selbst jedoch sehr geschmeidig, fast nervös. Mit seiner theatralischen Gestik scheint er von seinem ausdruckslosen Gesicht ablenken zu wollen.) »... eine Zeitlang außer Aktion. Energielos. Moribund. Im Koma. Aber das ist jetzt vorbei. Und Sie sind hier. Ich freu’ mich. Wirklich. Ich bin Mordecai Washington.«
    Ernst streckte er mir die Hand hin. Ich hatte das Gefühl, als käme dieser Geste eine ironische Bedeutung zu, als würde ich, wenn ich sie erwiderte, sein Handlanger werden.
    Er lachte - ein schrilles Papageienlachen, zwei Oktaven höher als seine normale Sprechstimme. Es war, als ob ein anderer für ihn lachte. »Sie können mir ruhig die Hand geben. Ich werde Ihnen keine von diesen verdammten Bakterien aufhängen. Auf diese Weise jedenfalls nicht, Boß.«
    »Auf diesen Gedanken wäre ich gar nicht gekommen, Mordecai.« (Es ist mir nie leichtgefallen, Fremde mit dem Vornamen anzureden.)
    »Ich habe nicht erwartet, daß Sie sich an mich erinnern würden. Das braucht Ihnen aber nicht peinlich zu sein. Und lassen Sie sich bitte Zeit mit dem ›tutoyer‹.« (Schauderhafte französische Aussprache!) »Aber ich habe mich an Sie erinnert. Eidetisch, wissen Sie, genauso, wie man sich an einen bestimmten Moment aus einem Gruselfilm erinnert. Psycho zum Beispiel. Erinnern Sie sich an Psycho ?«
    »Ja, die Badewannenszene. War ich damals ein zweiter Tony Perkins? Gott bewahre!«
    »Sie waren auf Ihre Art entsetzlich. Für mich. Wir waren damals in derselben Klasse. Bei Miß Squinlin, wissen Sie noch?«
    »Miß Squinlin! Die hab’ ich gehaßt!«
    »Die dicke alte Vettel mit ihrem roten Gesicht - ich hab’ sie noch tausendmal mehr gehaßt, Kamerad. In der 10c hatte ich sie in Englisch. Silas Marner, Julius Caesar, Rhyme of the Ancient Mariner. Herrgott noch mal, ich hab’s mir damals fast abgewöhnt, diese Scheißsprache zu sprechen, so verekelt hat sie sie mir!«
    »Sie haben mir immer noch nicht gesagt, warum ich Sie an Psycho erinnere.«
    »Na, sagen wir lieber an Donovans Gehirn. Ein Gehirn in einem Glastank. Eine Intelligenz, die ihre Krakenarme nach Stipendien ausstreckt, die alle Antworten weiß und jeden Mist verschlingt, den die Squinlins in sie hineinschaufeln. Das Zerebrum als Zerberus.«
    Er verdarb das Wortspiel durch die falsche Aussprache beider Wörter.
    »Und wenn Sie wollten, konnten Sie Leute wie die alte Squinlin zum Schweigen bringen. Während ich dasitzen und ihren Mist anhören mußte. Ich wußte, daß es Mist war, aber was konnte ich schon tun? Ich mußte diesen Leuten nach der Pfeife tanzen.
    Besonders ein Vorfall ist mir unvergeßlich - Teufel noch mal, er hat mein Leben verändert! Es war im Frühjahr 1955. Sie und zwei von den jüdischen Flittchen, mit denen Sie sich rumtrieben, quasselten nach der Schule über das Problem, ob Gott-h existiert oder nicht. So nannten Sie ihn, Gott-h. Sie hatten damals eine schrecklich gezierte Aussprache, sicher haben Sie sich zu viele Laurence-Olivier-Filme angesehen. Ich war auch im Klassenzimmer, ganz hinten, mußte nachsitzen. Mürrisch und unsichtbar, wie es meine Art war. Erinnern Sie sich denn an gar nichts?«
    »Nicht an den Tag, von dem Sie sprechen. Ich habe damals viel über Gott-h geredet. Ich hatte gerade das sogenannte Zeitalter der Aufklärung entdeckt. Aber ich erinnere mich an die beiden Mädchen. Barbara und ... wie hieß die andere doch gleich?«
    »Ruth.«
    »Was für ein fantastisches Gedächtnis Sie haben!«
    »Damit ich dich besser fressen kann, mein Täubchen. Also - die beiden Flittchen brachten die üblichen altersschwachen Argumente vor. Zum Beispiel: Das Universum funktioniert wie eine Uhr, und eine

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