Canale Mussolini
aus der Romagna, das gab ein ordentliches Sperrfeuer. Strategischer Vorteil. Nicht einmal in Westernfilmen sieht man so was. Und nach einer Viertelstunde und mehr schwenkten die ein weißes Tuch, luden ihre Verletzten ein – meine Tante kreischte: »Weiterschießen, weiterschießen«; »Sei still, zum Henker«, sagte Onkel Lanzidei zu ihr, »sonst schieß ich auf dich« –, wendeten die Jeeps, eilten nach Anzio und berichteten ebenfalls: »Da ist kein Durchkommen.«
So verlief die Landung in Anzio in den ersten vierundzwanzig oder dreißig Stunden. Am folgenden Tag kamen die Kräfte des deutschen Verbündeten – aber auch ein paar Einheiten der RSI –, und dann war das Angelegenheit der Soldaten. Mehr haben wir nicht gemacht – ein paar Schüsse, ich wiederhole es, ein bisschen Lärm geschlagen, mehr nicht –, aber wir waren unter den Siedlern nicht die Einzigen. Und hinzugerechnet zu den Kanonenschlägen und den MG -Salven – die unsere tausend Deutschen auf Fronturlaub hier und da abfeuerten –, ist es uns etwa dreißig Stunden lang gelungen, eben bis die eigentlichen Truppen eintrafen, sie glauben zu lassen, sie hätten wer weiß was für ein Heer vor sich. Ihre Angst vergrößerte unseren Lärm. Und als sie am Schluss merkten, dass da nur tausend Deutsche und wir Siedler waren – gegen fünfunddreißigtausend auf ihrer Seite –, war es schon zu spät, die Streitkräfte der Achse hatten sich formiert. Ihre Offensive war gestoppt. Der Brückenkopf eingeschlossen und eingezwängt zwischen der Front am Canale Mussolini im Süden und dem Fosso Moletta im Norden bis zu seiner Mündung bei Tor San Lorenzo. Vier Monate lang dort eingeschlossen – mit über fünfzigtausend Mann im Schlamm steckengeblieben –, während sie in den ersten dreißig Stunden, wenn sie nur gewollt hätten, sich nach Lust und Laune bis nach Rom und Cassino hätten ausbreiten können. Churchill musste vor das House of Common treten und sagen: »Wie auch immer, wir haben einige ihrer Kräfte vor Cassino gebunden. Aber es stimmt, ich war überzeugt, in Anzio eine Wildkatze ausgesetzt zu haben, die das Lager der Deutschen aufmischen würde, dagegen liegen wir dort im Sand wie ein gestrandeter Wal.« Aufgehalten von tausend Deutschen und den Siedlern des Agro Pontino.
Wie bitte, was sagen Sie? Dass das so nicht in den Geschichtsbüchern steht? Dass alle Historiker nur über die Deutschen in Anzio schreiben und nicht über die Siedler des Agro Pontino?
Ah, das weiß ich auch, dass das so nicht geschrieben steht, aber was kann ich da machen? Es ist schließlich nicht meine Schuld, wenn die Geschichtsschreiber sich nur auf Militärarchive stützen. Dort findet man unsere Namen natürlich nicht. Sie werden zugeben, es klingt besser und ist weniger peinlich, wenn in den Berichten zu lesen ist: »grausame Deutsche« statt »ein paar hergelaufene Siedler«! Und dann, ich bitte Sie, in dieser Nacht des 22. Januar 1944 – aber auch in den folgenden Stunden, bei der Angst, die sie gepackt haben muss –, wollen Sie etwa, dass die sich da hinstellen und Vor- und Nachnamen von jedem aufschreiben, der zufällig auf sie schießt? Sie schrieben »die Deutschen« und kehrten um. Was wollen Sie denn jetzt von mir, wenn zusammen mit den Deutschen auch wir da waren? Soll ich es leugnen, damit Sie zufrieden sind? Halten Sie das, wie Sie wollen. Aber in der »Domenica del Corriere« steht es, und – wenn Sie gestatten – in der Erinnerung der Peruzzi und der veneto-pontinischen Siedler wie uns steht es auch geschrieben. Mir haben es meine Onkel erzählt. Aber glauben Sie mir, sie haben es hinter vorgehaltener Hand erzählt, denn nach dem Krieg – als wir schließlich befreit waren und sahen, dass der Teufel so schlimm nicht war, wie man ihn uns hingestellt hatte, denn nicht nur nahmen sie uns unsere Höfe nicht weg, sondern halfen uns auch mit Lebensmitteln und dem DDT – war es nicht so angebracht, solche Sachen groß herumzuerzählen. »Die Deutschen«, sagten nun auch wir, »das haben alles die Deutschen gemacht.«
Nur Tante Bissola nicht; als nach der Befreiung die Demokratie wiedergekehrt war und Onkel Lanzidei wie Onkel Dolfin sich wieder in der Sozialistischen Partei eingeschrieben hatten und als in Aprilia eine der ersten Gedenkfeiern für die Resistenza abgehalten wurde, stand sie irgendwann auf und sagte: »Auch wir waren bei der Resistenza.« Sofort packte Onkel Lanzidei sie am Arm und zog sie wieder herunter auf ihren Stuhl: »Still! Sei
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