Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Candy

Candy

Titel: Candy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
Vom Netzwerk:
hingucken sollte, und ich brauchte Zeit zum Überlegen, Zeit, den Mut zu finden, um zu sagen, was ich sagen wollte. Ich muss mindestens hundert Jahre dort gestanden und wie blind zu der Menükarte hinaufgeguckt haben, auf das unsinnige Durcheinander von Bildern und Wörtern, und mein Herz tickte wie eine rasende Uhr, pumpte Blut und Sauerstoff in meine Muskeln, meine Zellen, meine Nerven   … und verstärkte meine Sinne. Es war echt ein seltsames Gefühl. Mein Verstand tobte, aber ich konnte nicht denken. Ich sah alles, jeden Punkt und jede Bewegung, aber nichts davon ergab einen Sinn. Das Schweigen in meinem Innern war ohrenbetäubend.
    Schließlich holte ich tief Luft, schluckte schwer, entleerte meinen Kopf und drehte mich zu dem Mädchen um.
    »Magst du was essen?«, fragte ich sie.
    Sie lächelte. »Ich dachte schon, du fragst gar nicht mehr.«
     
    |23| Wir fanden einen Tisch am Fenster, räumten den ganzen Müll weg und setzten uns hin. Ich hatte das Übliche genommen und das Mädchen hatte einen Schoko-Donut mit einer extra großen Cola und tonnenweise Eis gewählt. Jetzt beobachtete ich sie, wie sie das Getränk auf den Tisch stellte und ihren Mund zu dem Strohhalm hinabsenkte.
    »Bist du sicher, dass du nicht noch was anderes willst?«, fragte ich.
    Sie nickte, sog kräftig an dem Strohhalm und trank mit der atemlosen Konzentration eines Kindes. Ich packte meinen Burger aus und fing an zu essen. Ich hatte gar nicht mehr so richtigen Hunger, doch ich war froh, etwas mit meinen Händen anfangen zu können. Nervöse Hände lassen sich schwer kaschieren, wenn sie untätig sind. Ich kaute und schluckte, wischte etwas Soße von den Lippen und schaute auf die Uhr   …
    »Triffst du dich mit jemand?«, fragte mich das Mädchen.
    »Nicht wirklich«, antwortete ich.
    »Wie bitte?«
    Ich hustete, würgte an einem Stück Salat und bemerkte die Blödheit meiner Antwort.
Nicht wirklich
, hatte ich gesagt,
nicht wirklich
… Wie kann man
nicht wirklich
jemanden treffen?
    Gott   …
    »Alles in Ordnung?«, sagte das Mädchen.
    »Ja   … ich hab einen« – ich hustete – »entschuldige. Ich hab einen Arzttermin.«
    »Du hast was?«
    »Du hast mich gefragt, ob ich mich mit jemandem treffe   …«
    »Ja und?«
    |24| »Ich hab einen Arzttermin.«
    »Ach so, wegen deinem Husten?«
    »Nein   … das war nur   … ich hab einfach gehustet.«
    »Gut«, sagte sie und lächelte in sich hinein. »Damit wär das geklärt.«
    »Ja   …«
    Sie kehrte für eine Weile zu ihrer Cola zurück, ich tippte mit dem Finger ein paar Krümel von meinem Hamburger auf und machte mit meiner Serviette rum, faltete sie zusammen, zerknüllte sie und wischte mit ihr meine Finger ab, während ich die ganze Zeit den süßen kleinen Schlürfgeräuschen von der anderen Seite des Tisches lauschte. Dann schauten wir beide auf und fingen zur selben Zeit an zu reden.
    »Wohin musst –?«
    »Normalerweise bin ich nicht   –«
    »Entschuldigung«, sagte ich. »Nach dir.«
    Sie lächelte. »Ich wollte gerade fragen, in welche Richtung du musst. Wusste gar nicht, dass es in dieser Gegend hier Ärzte gibt.«
    »Pentonville Road«, erklärte ich ihr. »Ist eine Privatadresse   …«
    Sie zog die Augenbrauen hoch, als wollte sie sagen:
Aha, privat, na klar.
Aber sie sagte nichts, sondern nickte nur stumm und biss in ihren Donut.
    »Mein Dad ist Arzt«, erklärte ich. »Er kennt wieder andere Ärzte, verstehst du, Freunde von ihm   …«
    »Klar«, sagte sie mit vollem Donut-Mund.
    »Ist manchmal ganz praktisch   …«
    »Muss wohl. Was hast du denn?«
    Ich zog meinen Ärmel hoch und zeigte ihr die Beule an meinem |25| Handgelenk.
    »Huch!«, sagte sie. »Was ist das denn?«
    »Nichts Ernsthaftes   … nur eine Beule. Nennt sich Ganglion.«
    Sie lachte und spuckte dabei kleine Stückchen Schokolade aus. »Gangli-
was

    »Ganglion – ist so was wie   … wie ein Muskeldings   …« Ich versuchte mich zu erinnern, was Dad mir über die Beule erzählt hatte. Er hatte mir alles erklärt, kleine Zeichnungen dazu gemacht und so, aber ich hatte nicht richtig zugehört. »Hat was mit der Flüssigkeit in den Muskeln zu tun«, erzählte ich dem Mädchen. »Die läuft sozusagen aus und bildet diese Beule.«
    »Warum?«
    »Warum was?«
    »Warum läuft sie aus?«
    »Keine Ahnung.«
    Inzwischen hatte sie ihren Donut aufgegessen, fischte Eiswürfel aus ihrer Cola, steckte sie in den Mund und lutschte sie.
    »Kann das dein Vater nicht in Ordnung bringen?«,

Weitere Kostenlose Bücher