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Caravan

Titel: Caravan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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tupfte Mutter mit dem Taschentuch an ihren roten Augen herum und machte am Busbahnhof in Kiew eine peinliche Szene.
    »Mutter, bitte! Ich bin kein Kind mehr!«
    Dass Mutter in einem solchen Moment zu weinen anfängt, damit war zu rechnen. Aber als auch noch mein knorriger alter Papa
     auftauchte, das Hemd zerknittert und mit silbernem Haar, das in alle Richtungen abstand wie bei einem alten Stachelschwein,
     okay, ich gebe zu, das rührte mich.
    »Irina, Kleines, pass auf dich auf.«
    |10| »Ach, Papa. Was habt ihr bloß? Glaubt ihr, ich komme nicht wieder?«
    »Pass nur gut auf dich auf, mein Kleines.« Er schniefte und seufzte.
    »Ich bin nicht mehr dein Kleines, Papa. Ich bin neunzehn Jahre alt. Meinst du etwa, ich kann nicht auf mich aufpassen?«
    »Ach, mein Täubchen.« Seufz. Schnief. Dann fing Mutter wieder an. Und dann, ich konnte nichts dagegen machen, dann fing ich
     selber an, schluchzte und schniefte und wischte mir die Augen, bis der Busfahrer sagte, dass wir uns beeilen sollten, und
     Mutter mir noch eine Tüte mit Brot und Salami und einen Mohnkuchen zusteckte, und dann ging es los. Von Kiew nach Kent, in
     zweiundvierzig Stunden.
    Okay, ich gebe zu, zweiundvierzig Stunden im Bus sind kein Spaß. Als wir Lemberg erreichten, waren das Brot und die Salami
     alle. In Polen merkte ich, dass meine Knöchel anschwollen. An einer Tankstelle irgendwo in Deutschland stopfte ich mir die
     letzten Krümel Mohnkuchen in den Mund und spülte sie mit ekligem metallisch schmeckendem Wasser herunter, das, wie auf dem
     Schild stand, nicht zum Trinken war. In Belgien bekam ich meine Tage, aber das merkte ich erst, als der dunkle Blutfleck durch
     meine Jeans auf den Sitz gesickert war. In Frankreich hatte ich kein Gefühl mehr in den Füßen. Auf der Fähre nach Dover wusch
     ich mich auf der Toilette. Ich erkannte das fahle Gesicht kaum wieder, das mir hohläugig aus dem trüben Spiegel über dem Waschbecken
     entgegenblickte – war ich das, dieses verwahrloste Mädchen mit dem strähnigen Haar und den Augenringen? Um die Durchblutung
     in meinen Beinen anzuregen, ging ich an Deck spazieren, dann stellte ich mich an die Reling und sah zu, wie im blassen, wässrigen
     Licht des anbrechenden Tages die weißen Felsen von England auftauchten |11| , dem wunderschönen, geheimnisvollen Land meiner Träume.
    In Dover wurde ich von Vulk am Schiff abgeholt, der ein Stück Pappe mit meinem Namen hochhielt – Irina Blaksho. Natürlich,
     falsch geschrieben. Vulk war ein Typ, den meine Mutter als höchst unkultiviert bezeichnen würde, und er trug eine scheußliche
     Kunstlederjacke, wie ein Comic-Gangster.
Koschmar
! Die Jacke knarzte sogar, wenn er sich bewegte. Es fehlte nur noch die Pistole.
    Mit einem Grunzen begrüßte er mich. »Hrr. Hast du Passprrt? Papirre?«
    Seine Stimme war tief und schmierig, sie verströmte einen unangenehmen Hauch von Zigarettenrauch und Zahnfäule. Dieser Gangstertyp
     sollte sich mal die Zähne putzen. Ich kramte in meiner Tasche, und bevor ich etwas sagen konnte, nahm er mir den Pass und
     meine Saisonarbeitspapiere ab und verstaute sie in der Brusttasche seiner gruseligen Jacke.
    »Ich heb für dich auf. In England ist viel böse Mensch. Machen Diebstahl.«
    Er klopfte sich auf die Tasche und zwinkerte mir zu. Mir war klar, dass es sinnlos war, mit so jemandem zu diskutieren, und
     so schulterte ich meine Tasche und folgte ihm zum Parkplatz, wo ein riesiger, schwarz glänzender Wagen stand, der aussah wie
     eine Kreuzung zwischen einem Panzer und einer Sil-Limousine, mit getönten Scheiben und blitzenden Chromteilen vorn – eine
     richtige Mafiakutsche. Solche protzigen Autos sind sehr beliebt bei primitiven Typen und gesellschaftlich Unerwünschten. Genau
     genommen sah Vulk genauso aus wie sein Auto: übergewichtig und klobig wie ein Panzer, mit einem blitzenden silbernen Zahn
     wie aus Chrom vorn, der schwarz glänzenden Jacke und einem dünnen Pferdeschwanz, der ihm wie ein Auspuff im Nacken hing. Haha.
    Er packte mich am Ellbogen, was ziemlich überflüssig |12| war – Blödmann, dachte er vielleicht, ich wollte wegrennen?   –, und beförderte mich mit einem Stoß, der ebenfalls überflüssig war, auf den Rücksitz. In der Mafiakutsche stank es noch
     mehr nach Tabak. Schweigend saß ich da und starrte gleichgültig aus dem Fenster, während er mich unhöflich im Rückspiegel
     anstarrte. Was gab es da zu glotzen? Dann zündete er sich eine dieser dicken, übelriechenden Zigarren

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