Caravan
anderen nur blöde Bemerkungen machen.
Im Frauenwohnwagen sind sie seit Tagesanbruch auf den Beinen. Jola weiß aus Erfahrung, dass es besser ist, früh aufzustehen,
wenn sie nicht wollen, dass der Knödel anklopft und sich reindrängt, wenn sie gerade beim Anziehen sind, und sie mit seinen
hungrigen Hundeaugen anglotzt – hat er nichts Besseres zu tun?
Irina und die chinesischen Mädchen müssen zuerst aufstehen und das Doppelbett zusammenklappen, bevor sich irgendwer bewegen
kann. Leider können sie nicht in den Waschraum, bis der Knödel mit dem Schlüssel zum Container da ist, was ziemlich unerfreulich
ist – was denkt er sich bloß? Dass sie sonst nachts alle Klopapierrollen abwickeln? –, aber nur ein paar Meter weiter ist eine praktische Lücke in der Hecke, auch wenn Jola beim besten Willen nicht versteht,
wieso jedes Mal, wenn eine der Frauen hinter die Hecke zum Pinkeln geht, unten im anderen Wohnwagen grinsende Gesichter am
Fenster kleben. Haben die nichts Besseres zu tun da unten?
Neben dem Frauenwohnwagen gibt es einen Wasserhahn mit kaltem Wasser und eine Waschschüssel, und sie haben sogar eine Dusche,
einen Eimer mit Löchern im Boden, der von einer schwarz gestrichenen Öltonne oben im Baum gespeist wird. Abends, wenn den
ganzen Tag die Sonne daraufgeschienen |21| hat, ist das Wasser angenehm warm. Andrij, ein netter Junge, der ein richtiger Kavalier ist, auch wenn er aus der Ukraine
kommt, hat sogar einen Sichtschutz aus Birkenästen und Plastiksäcken gebaut, gegen den Protest von Vitali und Tomasz, die
sich beschwert haben, er würde ihnen den Spaß verderben – wirklich, diese beiden sind schlimmer als Kindergartenkinder, denen
gehört mal der Hintern versohlt –, und jetzt, wo sie nicht mehr beim Duschen zugucken können, geben sie den ganzen Tag Kommentare über die Kleidungsstücke
der Frauen ab, die an der Wäscheleine hängen. Neulich ist unter mysteriösen Umständen eine Unterhose von ihr verschwunden.
Jola versteht beim besten Willen nicht, dass erwachsene Männer so kindisch sein können. Na ja, im Grunde versteht sie es doch.
Es war Tomasz, der die Unterhose gestohlen hat, letzte Woche, in einem Anfall von betrunkenem Übermut. Sie ist aus weißer
Baumwolle, großzügig geschnitten, und hat eine hübsche blasslila Schleife vorn. Seitdem wartet er auf den richtigen Moment,
sie diskret zurückzulegen, ohne dabei erwischt zu werden – er will nicht, dass jemand auf die Idee kommt, er wäre die Sorte
Mann, der Damenunterwäsche von Wäscheleinen klaut und unter seinem Bett versteckt.
»Wie ich sehe, hat Jola heute wieder ihre Unterhosen gewaschen«, sagt er missmutig auf Polnisch, während er mit Vitalis Fernglas
durchs Fenster über seinem Bett blickt. »Ich möchte wissen, was das zu bedeuten hat.«
Die weißen Schlüpfer flattern provozierend im Wind. Als Jola ihn in Polen für ihr Erdbeerpflückerteam angeheuert hatte, war
da ein Blinzeln in ihren Augen gewesen, das er irgendwie als Einladung verstanden hatte zu … na ja, zu mehr als nur zum Erdbeerpflücken.
»Was meinst du,
was das zu bedeuten hat
?«, fragt Vitali |22| auf Russisch, wobei er Tomasz’ polnischen Akzent nachäfft. »Was Frauen machen, ist meistens vollkommen bedeutungslos.«
Vitali hält sich über seine Herkunft bedeckt, und Tomasz fragt nicht nach. Er vermutet, dass er illegal ist oder Zigeuner
oder so etwas. Die Leichtigkeit, mit der Vitali zwischen Russisch, Polnisch und Ukrainisch hin und her wechselt, imponiert
ihm. Sogar Vitalis Englisch ist ziemlich gut. Aber was nutzen all die Sprachen, wenn seine Seele keine Poesie besitzt?
»In der Poesie der Damenunterwäsche ist immer Bedeutung. Blüten, die vom Baum fallen, wenn die Glut des Sommers naht … Wolken, die zerschmelzen …«
Er spürt, dass da ein Song drin ist.
»Das reicht«, sagt Vitali. »Die Angliskis würden dich einen schmutzigen alten Mann nennen.«
»Ich bin nicht alt«, protestiert Tomasz.
Er ist gerade fünfundvierzig geworden. An seinem Geburtstag hat er in den Spiegel gesehen und auf seinem Kopf zwei neue graue
Haare entdeckt, die er gleich ausgerissen hat. Kein Wunder, dass sein Haar immer dünner wird. Bald wird er sich dem Grau ergeben
müssen, sich die Haare kurz schneiden, die Gitarre weglegen, seine Träume gegen Kompromisse eintauschen und anfangen, sich
Sorgen um die Rente zu machen. Wo ist das Leben geblieben? Es verrinnt wie Sand in einem
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