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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
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Ikonen anvertraute als
Smiley. »Sie ist der Geschichte nicht gefolgt. Das heißt, sie glaubte, die
Geschichte habe einen falschen Lauf genommen. Sie irrte. Das Volk sollte nie
versuchen, die Geschichte zu ändern. Es ist Sache der Geschichte, das Volk zu
ändern. Ich möchte, daß Sie mich mitnehmen, bitte. Ich möchte aus dieser
Klinik heraus.«
    Ihre Hände rangen wütend
miteinander, während sie weiterhin die Ikone anlächelte.
    »Hat Tatjana je ihren Vater
kennengelernt?«
    »Ein kleiner Mann hat die Kinder
immer auf ihrem Weg zur Schule beobachtet«, antwortete sie. Er wartete, aber
sie sprach nicht weiter.
    »Und dann?« fragte er.
    »Von einem Wagen aus. Er hat immer
das Fenster heruntergekurbelt und nur mich angeschaut.«
    »Haben auch Sie ihn angeschaut?«
    »Natürlich. Wie könnte ich sonst
wissen, daß er mich angeschaut hat?«
    »Wie sah er aus? War er groß? War
er klein? Hat er gelächelt?«
    »Er rauchte. Bitte, tun Sie sich
keinen Zwang an. Mutter Felicitas genehmigt sich auch ab und zu eine
Zigarette. Aber das ist nur menschlich, nicht wahr? Rauchen beruhigt das
Gewissen, wie man mir gesagt hat.«
    Sie hatte auf die Klingel gedrückt.
Die Hand ausgestreckt und lange darauf gedrückt. Er hörte wieder das Klirren
der Schlüssel, als Mutter Felicitas den teppichlosen Gang herunterkam, hörte
sie mit den Füßen scharren, als sie vor der Tür stehenblieb, um aufzusperren,
hörte die Geräusche, die jedem Gefängnis der Welt zueigen sind.
    »Ich möchte mit Ihnen in Ihrem
Wagen wegfahren«, sagte Alexandra.
    Smiley beglich die Rechnung, und
Alexandra sah zu, wie er die Scheine unter der Lampe hinzählte, genau wie Onkel
Anton dies immer tat. Mutter Felicitas bemerkte Alexandras gespannten Blick,
und vielleicht witterte sie Ungemach, denn sie blickte Smiley scharf an, als
verdächtige sie ihn einer Ungehörigkeit. Alexandra begleitete ihn zur Tür, war
Schwester Béatitude beim öffnen behilflich, schüttelte Smiley mit Grandezza die
Hand, wobei sie den Ellbogen abspreizte und das Knie des vorgestellten Beins
beugte. Sie versuchte, ihm die Hand zu küssen, doch Schwester Beatitude
hinderte sie daran. Sie schaute ihm auf dem Weg zum Wagen nach und begann zu
winken. Er war bereits am Anfahren, als er sie aus nächster Nähe schreien hörte
und sah, daß sie versuchte, die Wagentür zu öffnen, um mit ihm zu kommen.
Schwester Beatitude riß sie vom Auto und zog die unaufhörlich Schreiende ins
Haus zurück.
     
    Eine halbe Stunde später in Thun,
in demselben Cafe, von dem aus Smiley vor einer Woche Grigoriews Gang zur Bank
beobachtet hatte, händigte er Toby wortlos den von ihm vorbereiteten Brief
aus. Grigoriew solle ihn am heute abend Krassky geben, sagte er.
    »Grigoriew möchte diese Nacht
abspringen«, wandte Toby ein.
    Smiley schrie. Zum erstenmal in
seinem Leben schrie er. Er riß den Mund sehr weit auf, er schrie, und das ganze
Cafe fuhr hoch - das heißt, das Mädchen hinter der Theke sah von ihren Heiratsanzeigen
auf, und von den vier Kartenspielern in der Ecke drehte mindestens einer den
Kopf. »Noch nicht!«
    Und um zu zeigen, daß er sich
wieder in der Gewalt hatte, wiederholte er ruhig: »Noch nicht, Toby. Verzeihen
Sie bitte. Noch nicht.«
     
    Von dem Brief, den Smiley über
Grigoriew an Karla schickte, existiert keine Kopie, ein Manko, das vielleicht
von Smiley beabsichtigt war, indes kann kaum ein Zweifel über den Tenor des
Schreibens bestehen, war doch Karla, wie er selbst von sich gesagt hatte, ein
erklärter Verfechter der Kunst dessen, was er Unterdrucksetzen nannte. Smiley
dürfte die nackten Tatsachen vorgebracht haben: daß Alexandra unbestreitbar
seine Tochter sei und die seiner ehemaligen und jetzt toten Geliebten, deren
anti-sowjetische Einstellung amtsbekannt war; daß er Alexandras illegale
Ausreise aus der Sowjetunion bewerkstelligt habe, unter dem Vorwand, sie sei
seine Geheimagentin; daß er öffentliche Gelder und Einrichtungen mißbraucht
habe; daß er zwei Morde und vielleicht auch die mutmaßliche offizielle Hinrichtung
von Kirow organisiert habe, um sein verbrecherisches Vorhaben zu decken.
Smiley dürfte auch darauf hingewiesen haben, daß angesichts Karlas prekärer
Stellung innerhalb der Moskauer Zentrale die angehäufte Beweislast mehr als
genüge, um seine Liquidierung durch die Kollegiumsgenossen zu sichern; und daß,
falls dies eintreten sollte, die Zukunft seiner Tochter im Westen - wo sie
unter falschen Angaben weilte - äußerst unsicher sein würde, um es

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