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Carre, John le

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Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
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und er wirklich von der Polizei sein, dann
- es war weiß Gott nicht mehr zu früh - unternahmen diese Idioten endlich
etwas gegen die Flut von Diebereien, die seit Monaten ihre Inventurarbeiten zur
Hölle machten.
    Der
Fremde hatte sie schon seit geraumer Zeit angestarrt und glotzte sie weiterhin
unentwegt an.
    »Ich
bin von Rückenschmerzen geplagt, Monsieur«, vertraute sie ihm schließlich in
ihrem langsamen und klassisch ausgesprochenen Französisch an. »Der Rücken ist
nicht groß, aber der Schmerz steht in keinem Verhältnis dazu. Sind Sie zufällig
Arzt? Orthopäde?« 
    Dann
fragte sie sich, wie sie so an ihm hochsah, ob er nicht selber krank sei, und
sie einen schlechten Scherz gemacht habe. Sein Gesicht und Nacken glitzerten
ölig, und um seine willensschwachen wäßrigen Augen lag ein Zug blinder
Selbstbesessenheit. Er schien über sie hinweg auf einen eigenen Kummer zu
blicken. Sie wollte ihn schon danach fragen - sind Sie vielleicht verliebt,
Monsieur? - betrügt Ihre Frau Sie? - und zog bereits in Erwägung, ihn zu einem
Glas Mineralwasser oder einer tisane in ein Bistrot zu lotsen - als er
sich plötzlich von ihr abwandte und hinter sich blickte, dann über ihren Kopf
hinweg in die andere Richtung die Straße hinunter. Und sie hatte den Eindruck,
daß er verängstigt war; nicht nur traqué, sondern zu Tode erschrocken.
Er war also vielleicht kein Polizist, sondern ein Dieb; obgleich der
Unterschied, wie sie sehr wohl wußte, oft nur minimal war. »Sie heißen Maria
Andrejewna Ostrakowa?« sagte er plötzlich in einem Ton, als ängstige ihn die
Frage.
    Er
sprach französisch, aber sie wußte, daß er so wenig Franzose war, wie sie
Französin, und die korrekte Aussprache ihres Namens mit dem Patronymikon
verwies auf seine Herkunft. Sie erkannte sofort die verschliffene Redeweise
und deren Ursache, die eigenartige Zungenbewegung, und sie identifizierte zu
spät und mit beträchtlichem inneren Schauder den Typus, den sie nicht hatte
bestimmen können.
    »Wenn
schon - wer um alles in der Welt sind Sie ?« fragte sie zurück und
reckte das Kinn drohend vor.
    Er
schob sich einen Schritt näher. Der Größenunterschied wurde plötzlich
beklemmend. Desgleichen das Maß, in dem die Züge des Mannes seinen
unerfreulichen Charakter verrieten. Aus ihrer Froschperspektive sah die
Ostrakowa seine Schwäche ebenso deutlich, wie seine Furcht. Sein schweißbedecktes
Kinn hatte sich grimassierend nach vorn geschoben, die Mundwinkel waren nach
unten gezogen, um Härte vorzutäuschen, aber sie wußte, daß er nur eine
unheilbare Feigheit bannen wollte. Er sieht aus wie jemand, der sich zu einer
Heldentat aufrafft, dachte sie. Oder zu einer Missetat. Er ist ein Mensch, der
keiner spontanen Handlung fähig ist, dachte sie.
    »Sie
wurden in Leningrad am 8. Mai 1927 geboren?« fragte der Fremde.
    Wahrscheinlich
hatte sie »ja« gesagt. Sie war sich später dessen nicht ganz sicher. Sie sah,
wie er sich wiederum mit der Zunge über die Lippen fuhr. Sie sah, wie sich
seine blassen furchterfüllten Augen hoben und auf den näherkommenden Bus
starrten. Sie sah, wie eine geradezu panikartige Unentschlossenheit von ihm
Besitz ergriff, und sie hatte den Eindruck - der sich später als eine fast
hellseherische Ahnung herausstellen sollte - daß er erwog, sie unter die Räder
zu stoßen. Er tat es nicht, aber er stieß die nächste Frage auf Russisch hervor
- im brutalen Moskauer Amtston:
    »1956
erhielten Sie die Erlaubnis, die Sowjetunion zu verlassen zwecks Pflege Ihres
kranken Ehemannes, des Verräters Ostrakow? Und auch zu gewissen anderen
Zwecken?«
    »Ostrakow
war kein Verräter«, unterbrach sie ihn. »Er war Patriot.« Instinktiv hob sie
die Einkaufstasche auf und umklammerte den Henkel mit ganzer Kraft.
    Der
Fremde redete ungerührt über diesen Einspruch hinweg, und sehr laut, um das
Rattern des Busses zu übertönen. »Ostrakowa, ich bringe Ihnen Grüße von Ihrer
Tochter aus Moskau, ferner von gewissen offiziellen Stellen. Ich möchte mit
Ihnen über Ihre Tochter sprechen. Steigen Sie nicht ein.«
    Der
Bus hatte angehalten. Der Fahrer kannte sie und streckte die Hand nach ihrer
Tasche aus. Der Fremde fügte mit gesenkter Stimme noch eine schreckliche Bemerkung
hinzu: »Alexandra hat ernsthafte Schwierigkeiten, die des Beistands einer
Mutter bedürfen.«
    Der
Fahrer forderte sie zum Einsteigen auf. Er tat es in dem ruppigen Ton, den sie
beide sonst scherzhaft gebrauchten. »Los, Mütterchen! Zu heiß für die Liebe.
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