Carre, John le
für einen Weckruf
für heute morgen um acht Uhr dreißig. Es war Fennan selbst - das beschwört das
Mädchen.«
»Wieso?«
»Dieser
Fennan hat offenbar am Weihnachtstag in der Zentrale angerufen, und dasselbe
Mädchen hatte Dienst. Er wollte ihnen allen >Fröhliche Weihnachten wünschen.
Sie war ganz gerührt, und sie haben sehr nett miteinander geplaudert. Sie ist
ganz sicher, daß es dieselbe Stimme war. >Ein sehr kultivierter Herr<,
hat sie gesagt.«
»Aber es
ist unverständlich. Um zehn Uhr dreißig hat er seinen Abschiedsbrief
geschrieben. Was ist zwischen acht und dieser Zeit passiert?«
Mendel
griff nach einer alten speckigen Aktentasche. Sie hatte kein Schloß. Mehr wie
eine Notenmappe, dachte Smiley. Dieser entnahm er eine gewöhnliche braune
Kartonmappe und gab sie Smiley. »Das Faksimile des Briefes. Der Chef hat
gesagt, daß ich Ihnen eine Kopie geben soll. Sie schicken das Original an das
Außenamt und eine weitere Abschrift direkt an Marlene Dietrich.«
»Wer zum
Teufel ist das?«
»Tut mir
leid, mein Herr. So nennen wir Ihren Chef. Ziemlich allgemein in der Branche.
Tut mir leid, mein Herr.«
Wie
herrlich, dachte Smiley, einfach unglaublich herrlich. Er öffnete die Mappe und
sah sich die Kopie an. Mendel redete weiter: »Der erste Abschiedsbrief in
Maschinenschrift, der mir je untergekommen ist. Übrigens auch der erste mit der
Zeit drauf. Die Unterschrift sieht aber aus, als wäre sie in Ordnung. Ich habe
sie auf der Station mit einer Empfangsbestätigung verglichen, die er einmal
für irgendeinen verlorenen Gegenstand unterschrieben hat. Die ist goldrichtig.
«
Der Brief
war auf der Maschine geschrieben, wahrscheinlich einer Portable. Genauso wie
die anonyme Denunziation, die stammte auch von einer Portable. Unter diesem
Brief hier stand Fennans nette, gut leserliche Unterschrift. Unter der
gedruckten Adresse am Kopf des Blattes war das Datum getippt und darunter die
Zeit: 10.30 abends.
Sehr
geehrter Sir David,
nach
einigem Zögern habe ich beschlossen, mir das Leben zu nehmen. Ich kann die
Jahre, die mir noch verbleiben würden, nicht in einer Atmosphäre des Verdachtes
auf Verrat verbringen. Es ist mir klar, daß meine Karriere ruiniert ist und
daß ich das Opfer von bezahlten Denunzianten bin.
Ihr ergebener Samuel Fennan
Smiley las den Brief mehrere Male durch. Konzentriert
spitzte er die Lippen, und seine Augenbrauen hoben sich ein wenig, als wäre er
erstaunt. Mendel fragte ihn: »Wie sind Sie draufgekommen?«
»Auf was?«
»Na, die
Sache mit dem Anruf am Morgen.«
»Ach so.
Ich habe den Anruf entgegengenommen. Dachte, er wäre für mich. Aber das war
nicht der Fall - es war die Zentrale mit dieser Geschichte. Auch da ist der
Groschen noch nicht gefallen. Ich habe geglaubt, es wäre für sie, verstehen
Sie. Ich bin hinuntergegangen und habe es ihr gesagt.«
»Hinunter?«
»Ja, sie
haben das Telefon im Schlafzimmer. So an der Bettkante, ja . . . sie war doch
früher lange krank, verstehen Sie, und sie haben das Zimmer so gelassen, wie es
damals war, nehme ich an. Es sieht auf der einen Seite wie ein Studierzimmer
aus. Bücher, Schreibmaschine, Schreibtisch und so weiter.«
»Eine
Schreibmaschine?«
»Ja, eine
Portable. Ich vermute, daß er darauf diesen Brief geschrieben hat. Aber als
ich den Anruf entgegennahm, hatte ich vergessen, daß Mrs. Fennan ihn unmöglich
bestellt haben konnte.«
»Warum
nicht?«
»Sie
leidet an Schlaflosigkeit, hat sie mir gesagt. Sie hat eine Art Scherz damit
gemacht. Ich riet ihr, sich etwas auszuruhen, und sie sagte nur: >Mein
Körper und ich müssen zwanzig Stunden am Tag miteinander auskommen. Wir haben
schon länger gelebt als die meisten Menschen.< Noch etwas hat sie gesagt.
Ja, daß sie nicht den Luxus des Schlafes genieße. Also warum sollte sie sich um
acht Uhr dreißig wecken lassen?«
»Warum ihr
Mann? - Warum andere Leute? Das ist ja beinahe Lunchzeit. Gott helfe dem
Staatsdienst.«
»Ganz
richtig. Darüber zerbreche ich mir auch den Kopf. Das Außenamt fängt
zugegebenerweise spät an - um zehn, glaube ich. Aber auch in diesem Fall wäre
es für Fennan höchste Zeit zum Anziehen, Rasieren, Frühstücken und den Zug
erwischen gewesen, wenn er nicht vor acht Uhr dreißig aufgestanden wäre.
Übrigens hätte seine Frau ihn wecken können.«
»Vielleicht
wollte sie sich nur interessant machen, als sie sagte, daß sie nicht schlafen
kann«, meinte Mendel. »Das machen Frauen gerne, mit Schlaflosigkeit, Migräne
und solchem
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