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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten von gestern (Smiley Bd 1)
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gab. »Sie sehen
direkt krank vor Sorgen aus«, sagte Mendel.
    »Bin ich
auch.«
    Sie
schwiegen eine Weile. Dann sagte Mendel: »Sie sind von einem unbekannten Teufel
besessen.«
    Als sie
etwa vier oder fünf Meilen weitergefahren waren, lenkte Smiley den Wagen zum
Straßenrand und drehte sich dann Mendel zu.
    »Hätten
Sie sehr viel dagegen, wenn wir nach Walliston zurückfahren würden?«
    »Gute
Idee. Zurückfahren und sie fragen.«
    Er wendete
den Wagen und fuhr langsam zurück nach Walliston hinein und zur Merridale Lane.
Er ließ Mendel im Wagen und ging den vertrauten Kiesweg hinauf.
    Sie
öffnete und wies ihn ohne ein weiteres Wort ins Wohnzimmer. Sie trug noch immer
dasselbe Kleid, und Smiley dachte, was sie wohl gemacht hatte, seit er sie am
Morgen verlassen hatte.
    War sie im
Haus herumgegangen oder bewegungslos im Wohnzimmer gesessen? Oder oben in dem
Schlafzimmer mit den Lederstühlen? Wie kam sie sich vor in ihrer neuen
Witwenschaft? Hatte sie sich schon gefaßt, oder war sie noch immer in dem tief
erregten Zustand, der für gewöhnlich auf einen so schmerzlichen Verlust folgt?
Sah sie noch in den Spiegel, und versuchte sie, die Veränderung, die Spur des
Schreckens, in ihrem Gesicht zu finden, und weinte sie, wenn sie keine fand?
    Sie
blieben stehen - beide vermieden instinktiv eine Wiederholung des
Zusammentreffens von heute morgen.
    »Ich muß
Sie noch eines fragen, Mrs. Fennan. Es tut mir leid, daß ich Sie ein zweites
Mal belästigen muß.«
    »Wegen des
Anrufes, nehme ich an. Der Weckruf von der Zentrale.«
    »Ja.«
    »Ich habe
mir gedacht, daß Ihnen das rätselhaft vorkommen wird. Eine Schlaflose läßt sich
wecken!« Sie machte den Versuch, heiter zu sprechen.
    »Ja, es
ist mir merkwürdig vorgekommen. Gehen Sie oft ins Theater?«
    »Ja. Alle
vierzehn Tage. Ich bin Mitglied des Repertoire-Klubs in Weybridge, verstehen
Sie. Ich bemühe mich, zu allen Vorstellungen zu gehen, die sie geben. Ich habe
am ersten Dienstag nach jeder Premiere einen Sitz reserviert. Mein Mann hat am
Dienstag immer bis spät gearbeitet. Er ist nie mitgegangen, er hat sich nur
klassische Stücke angesehen.«
    »Aber
Brecht hat er gern gehabt, nicht wahr? Er schien von den Aufführungen des
Berliner Ensembles in London ganz begeistert gewesen zu sein.«
    Sie sah
ihn einen Augenblick an und lächelte dann plötzlich - das erstemal, seit er sie
kannte. Es war ein bezauberndes Lächeln. Ihr ganzes Gesicht erhellte sich wie
das eines Kindes.
    Smiley sah
sie einen Augenblick im Geiste als Kind. Eine schlaksige, flinke, ausgelassene
Range wie George Sands »Petite Fadette« - halb Weib, halb geschwätziges
Mädchen, das lügen kann wie gedruckt. Er sah sie als schmeichelnden Backfisch,
wie sie sich wie eine Katze verteidigte, und er sah sie auch verhungert und
eingefallen im Konzentrationslager, hemmungslos im Kampf um ihr Leben. Es war
erschütternd, in diesem Lächeln das Licht ihrer einstigen Unschuld und
zugleich eine bewährte Waffe im Kampf um die Selbsterhaltung zu erleben.
    »Ich
fürchte, die Erklärung für diesen Anruf ist sehr einfältig«, sagte sie. »Ich
leide an einem schrecklich schlechten Gedächtnis - wirklich fürchterlich. Ich
gehe einkaufen und vergesse, was ich wollte, treffe am Telefon eine
Verabredung, und in dem Augenblick, in dem ich den Hörer auflege, kann ich mich
an nichts mehr erinnern. Ich bitte Leute zum Wochenende zu uns, und wenn sie
kommen, sind wir nicht zu Hause. Manchmal, wenn es etwas gibt, an das ich mich
unbedingt erinnern muß, dann klingle ich die Zentrale an und bitte um einen
Anruf fünf Minuten vor der ausgemachten Zeit. Das ist so wie ein Knoten im
Taschentuch, aber ein Knoten kann nicht für einen auf die Klingel drücken,
nicht wahr?«
    Smiley sah
sie scharf an. Die Kehle war ihm ziemlich trocken, und er mußte schlucken,
bevor er sprach.
    »Und
welchem Zweck diente der Anruf diesmal, Mrs. Fennan?«
    Wieder das
bezaubernde Lächeln: »Das ist es ja. Ich habe es völlig vergessen.«
     
    Maston und Kerzenlicht
     
    Während
Smiley langsam nach London zurückfuhr, vergaß er vollkommen, daß Mendel neben
ihm saß.
    Es hatte
eine Zeit gegeben, da hatte ihm das Fahren an und für sich schon eine
Erleichterung bedeutet, damals hatte er in der Unwirklichkeit einer langen,
einsamen Reise ein Beruhigungsmittel für sein gemartertes Hirn gefunden, da
hatte es ihm die Ermüdung durch das Fahren nach einigen Stunden erlaubt, seine
düsteren Sorgen zu vergessen.
    Es war
wohl eines der

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