Carre, John le
Erinnerungen an Oxford, entsann
sich seiner Schönheit, der Ungezwungenheit der Gedanken und des langsamen Reifens
seiner Urteile. Er träumte von windigen Herbstferien in Hartland Quay, von
langen Fußwanderungen an der Felsenküste Cornwalls, das heiße Gesicht dem
Seewind zugewendet. Dies war sein zweites, geheimes Leben, und er begann die
großmäulig hinterhältige Invasion des neuen Deutschland zu hassen, das
Stampfen und Gebrüll der uniformierten Studenten, die arroganten Gesichter mit
den Schmissen und ihre billigen konfektionierten Antworten. Es ärgerte ihn
auch, wie die Fakultät an seinem Fach, seiner geliebten
deutschen Literatur, herumgestümpert hatte. Und dann war eine Nacht gekommen,
eine schreckliche Nacht im Winter 1937, da war Smiley an seinem Fenster
gestanden und hatte auf einen großen Scheiterhaufen im Hof der Universität
hinausgesehen. Rundherum standen Hunderte johlender Studenten mit exaltierten
Gesichtern, die von den tanzenden Flammen beleuchtet wurden, und warfen
Hunderte von Büchern in das götzendienerische Feuer. Er wußte, wer diese Bücher
geschrieben hatte: Thomas Mann, Heine, Lessing und viele andere. Und Smiley,
der die Glut seiner Zigarette in seiner feuchten hohlen Hand verbarg, starrte
hinaus, und zugleich mit Haß überwältigte ihn der Triumph, daß er seinen
Gegner kannte.
Neununddreißig
war er in Schweden, und zwar als wohlakkreditierter Vertreter einer sehr
bekannten Schweizer Fabrik für Handfeuerwaffen. Seine Verbindung mit der Firma
war natürlich rückdatiert, wie das ja zweckdienlich ist. Ebenso
zweckdienlicherweise hatte sich seine Erscheinung beträchtlich geändert, denn
Smiley hatte in sich ein Talent für Tarnung entdeckt, das über das primitive
Wechseln der Haarfarbe und die Hinzufügung eines kleinen Schnurrbartes
hinausging. Vier Jahre hatte er seine Rolle gespielt und war zwischen der
Schweiz, Deutschland und Schweden hin und her gereist. Er hatte nie geahnt, daß
man es aushalten könne, so lange Zeit Angst zu haben. Die Folge war eine
nervöse Irritation seines linken Augenlids, die er auch nach fünfzehn Jahren
noch nicht losgeworden war, und die dauernde Spannung grub tiefe Falten in
seine fleischigen Wangen und seine Stirn. Er erfuhr, was es hieß, nie richtig
zu schlafen, pausenlos in Spannung zu sein und immer, sei es bei Tag oder des
Nachts, das rastlose Klopfen des eigenen Herzens zu fühlen, die äußersten
Grenzen der Einsamkeit und des eigenen Jammers zu erleben, das plötzliche
Verlangen nach einer Frau, nach Alkohol, nach Bewegung, kurz nach irgendeinem
Narkotikum, das ihm die Spannung seines Lebens nehmen konnte.
Vor diesem
Hintergrund führte er seinen offiziellen Handel und seine Arbeit als Spion
durch. Im Laufe der Zeit wurde das Netz größer, und andere Länder machten ihren
Mangel an Voraussicht und Vorbereitung wett. 1943 rief man ihn zurück. Schon
nach sechs Wochen sehnte er sich danach, weiterzumachen, aber sie ließen ihn
nicht mehr: »Sie sind fertig«, sagte Steed-Asprey. »Schulen Sie neue Leute ein,
machen Sie Ferien. Heiraten Sie, oder machen Sie etwas anderes. Kurz und gut,
koppeln Sie ab.«
Smiley
machte der Sekretärin von Steed-Asprey, Lady Ann Sercomb, einen Heiratsantrag.
Der Krieg
war zu Ende. Sie zahlten ihn aus, und er nahm seine schöne Frau nach Oxford, wo
er sich den Obskuritäten des siebzehnten Jahrhunderts in Deutschland widmen
wollte. Aber nach zwei Jahren war Lady Ann in Kuba, und die Enthüllungen eines
jungen russischen Geheimcodebeamten in Ottawa hatten neuen Bedarf an Männern
mit Smileys Erfahrung geschaffen.
Die Arbeit
war neu, das Risiko gering, und am Anfang fand er Gefallen daran. Aber jüngere
Männer traten ein, vielleicht mit weniger verbrauchtem Verstand. Smiley stand
nicht auf den Beförderungslisten, und langsam dämmerte es ihm auf, daß er die
Mitte seines Lebens erreicht hatte, ohne jemals jung gewesen zu sein, und daß
er ganz einfach auf dem Abstellgleis war.
Die
Verhältnisse änderten sich. Steed-Asprey war nicht mehr da. Er war auf der
Suche nach einer anderen Kultur aus der Neuen Welt nach Indien geflüchtet.
Jebedee war tot. Im Jahre 1941 war er mit seinem Funker, einem jungen Belgier,
in Lille in einen Zug gestiegen, und man hatte nie mehr etwas von den beiden
gehört. Fielding war durch eine neue Auslegung der Gestalt Rolands gänzlich in
Anspruch genommen - nur Maston war noch da, Maston der Karrieremacher, die
Kriegserwerbung, der Fachmann des Ministeriums in Fragen
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