Carries ruhmreichen Tage
Tag.
Sie hat diese zwanzig Euro, gibt sie aber dann doch nicht für die Verpflegung ihrer Kinder aus. Ohne zu wissen, ob es für irgendetwas gut sein wird oder ob überhaupt jemand da sein wird, wenn sie ankommt, investiert Carrie das Geld in ein Taxi. Es bringt sie an den Stadtrand, zum Haus der Fortuny. Es ist sowieso nur eine Hinfahrt; es gibt keinen Grund für sie zurückzukehren... noch nicht einmal nach Hause, um zu essen.
So ist Carrie. So ist die Liebe und auch der Wahnsinn, was gleichbedeutend ist. Dort auf dem Rücksitz, presst sie aus reiner Nervosität ihre Hände zusammen und fängt erneut an zu weinen. Sie kaut an ihren Fingernägeln, dreht sich mit dem Zeigefinger die Haare, sie ist aufgewühlt. Sie hat mindestens zwanzigmal geseufzt und fünfmal aufgestoßen, wegen der Magenschmerzen, die sie jedes Mal umbringen, wenn ihr die Nerven durchgehen.
Das riesige Haus der Fortuny ist noch da. Es ist eine Erlösung. Törichterweise hatte Carrie selbst erwartet, daß irgendeine aberwitzige Katastrophe es von der Landkarte gelöscht hätte. Es möglicherweise eingekesselt und umringt von Umzugslastern vorzufinden, derweil die Abneigung der Erstgeborenen gegenüber ihr, sie dazu bewegt hätte, weit weg zu gehen, um ein neues und trübseliges Leben fernab der Erinnerung zu beginnen.
Sie steigt aus und läuft los, während der Taxifahrer sich eiligst davonmacht. Er hat sie bereits gewarnt, denn die Steingrenze, die sie passiert haben, kennzeichnet den Beginn dieses Privatgeländes und er weiß, daß sie damit Hausfriedensbruch begehen. Die Philippinen scheinen auf der anderen Seite zu lachen. Das befürchtet Carrie, die sich allerdings täuscht. Es existiert nur in ihrer Einbildung... jedoch hat sie solche Angst davor, abgewiesen zu werden, daß sie nicht fähig ist, etwas anderes zu vermuten.
Niemand öffnet. Verdammt, sie sind nicht da! Carrie sitzt nun wirklich in der Tinte. Sie würde am liebsten weinen oder die Kristallscheiben mit Steinen zertrümmern. Sie schnaubt und ballt die Fäuste. Dann wird sie wohl wieder geh´n... überlegt es sich aber wieder und läuft instinktiv nochmal von der anderen Seite ums Haus. Man kann zurückhaltende Stimmen hören. Es ist keine Party sondern ein Treffen. Eine Familientreffen; die Fortunys!
Sie erstarren vor Schreck, als sie sie sehen, obwohl Carries Gesicht ebenso Filmreif ist. Ihre Augen sind desaströs vom Kummer und ihre Haare stehen ihr zu Berge, als wenn sie in eine Steckdose gefasst hätte. Im Taxi, angewidert vom Leben, ist sie fast eingegangen, es war schlimmer als in einer Sauna; sie ist verschwitzt und riecht streng, ihre Kleidung ist unordentlich, mit eingebrannten Falten von den Ledersitzen des Autos.
» Carrie... « , so empfängt Rocko sie. Alain ergreift ihre Hände, als sie allem Anschein nach ohnmächtig wird.
Es hat aber nur den Anschein. Carrie bricht nicht zusammen. Sie ist kerngesund, jetzt, da sie weiß, daß dieses Szenario kein Traum ist; sie genießen die Sonne auf dem Rasen im Garten hinter dem Haus, während sie mit einer überirdischen, geradezu himmlischen Ruhe Krocket spielen. Das Familienoberhaupt liegt wie ein gestrandeter Wal auf seinem Liegestuhl und trinkt Limonade. Er fährt regelrecht zusammen, als er dieses „Mädchen” erblickt, daß gerade einem Fiasko entgangen sein mußte.
» Geht es dir gut meine Liebe? « , fragt jedoch die Mama, in ihrer gewohnt heuchlerischen Art. Sie scheint einen Bikini zu tragen, was aber nur ein kurzes Kleid ist.
» Besser... Jetzt geht es mir besser « , sagt sie. Cid reicht ihr ein Glas Wasser,... während einer absurden Pause schauen ihr alle beim trinken zu und warten auf das Resultat.
Erst als dieses verfluchte Wasserglas ihr keinen Aufschub mehr gewährt, bemerkt Carrie, daß ihre tiefgreifenden Zweifel, ob sie gerade das Richtige tut, sie wie eine Welle überrollen und sie erröten lassen.
– Aber... was zum Teufel tu ich hier eigentlich? –
Das ist normal. Sie hat die ganze Zeit schon daran gezweifelt, ob es so sinnvoll war, dieses verfluchte Taxi zu nehmen. Nur diese unsinnig Wut konnte sie in eine solch prekäre Lage bringen. Eine, die jetzt ihr wahres Gesicht zeigt, als sie nicht weiß was sie tun, noch was sie sagen soll.
» Ist was passiert, Mädchen? « , fragt der Papa sehr besorgt.
– Okay ich hab´s – , denkt sie... ohne den Boden unter ihren Füßen zu spüren, geht sie alsdann zum Familienoberhaupt und äußert den größten Unsinn, der ihr je hätte einfallen
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