Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens
mißbillige?«
»Gleichviel, ich verspreche mir etwas von einer mündlichen Auseinandersetzung; ich kenne Herrn von Feuerbach, er ist der letzte, der einer gerechten Sache sein Ohr verschließt.«
Die Reise wurde beschlossen. Daumer und Herr von Tucher befanden sich am andern Tag schon in Ansbach. Unglücklicherweise war der Präsident Feuerbach gerade auf einer Inspektionsreise durch den Bezirk, sollte erst am fünften Tag zurückkommen, und die beiden Herren, sofern sie das vorgesetzte Ziel erreichen wollten, mußten ihren Aufenthalt in der Kreishauptstadt über Gebühr verlängern.
Mittlerweile hatte der Findling eine gar böse Zeit. Sein Turmgefängnis wurde das Ziel aller Müßiggänger und Neugierlinge der ganzen Stadt. Man lief hin wie zu der Ausstellung einer unterhaltsamen Rarität, denn der magistratische Erlaß hatte ihn zu einem öffentlichen Gegenstand gemacht. Seine bisherigen Beschützer waren ein wenig zurückhaltender geworden, denn man wußte ja nicht, wie die Geschichte enden würde und ob nicht ein hochweises Appellgericht ihn zum gewöhnlichen Schwindler stempeln würde. Der Turmwärter durfte der allgemeinen Volksbelustigung nicht steuern, der Bürgermeister selbst hatte die früheren Befehle aufgehoben, weil es zweckmäßig schien, daß möglichst viele Leute den Fremdling sahen. Oft erbarmte ihn der wehrlose Knabe, doch schmeichelte es anderseits seiner Eitelkeit,Herr über ein solches Wunderding zu sein, auch spazierte nebenbei mancher Groschen in den Beutel.
Brach der Morgen an und Caspar Hauser erhob sich vom Schlaf, seltsam müde, mit den Augen das Licht meidend; saß er traurig stumm in der Ecke, während Hill den Strohsack aufschüttelte und Wasser und Brot brachte, dann erschienen schon die ersten Besucher, die berufsmäßigen Frühaufsteher: Straßenkehrer, Dienstmägde, Bäckergesellen, Handwerker, die zur Arbeit gingen, auch Knaben, die auf dem Weg zur Schule einen ergötzlichen Abstecher machten, sogar einige höchst unbürgerliche Erscheinungen, zerlumpte Herren, die die Nacht im Stadtgraben oder in einer Scheune verbracht hatten.
Mit dem Verlauf des Tages wurde die Gesellschaft vornehmer; es kamen ganze Familien, der Herr Rendant mit Weib und Kind, der Herr Major a. D., der Schneidermeister Bügelfleiß, Graf Rotstrumpf mit seinen Damen, Herr von Übel und Herr von Strübel, die ihre Morgenpromenade zum Zweck einer Besichtigung des kuriosen Untiers unterbrachen.
Es war ein heiteres Treiben; man konversierte, wisperte, lachte, spottete und tauschte Meinungen aus. Man war freigebig und brachte dem Jüngling allerlei Geschenke, die er ansah wie ein Hund, der noch nicht apportieren gelernt hat, den fortgeworfenen Spazierstock seines Herrn ansieht. Man legte Eßwaren vor ihn hin, um seinen Appetit zu reizen; so schleppte zum Beispiel die Kanzleirätin Zahnlos einmal eine ganze Schinkenkeule herauf, die allerdings am andern Tag verschwunden war – wohin, das wußte niemand; doch zog man bedeutsame Schlüsse daraus.
Vor allem hieß es: zeigt uns das Wunder, das angepriesene Wunder! Aber da der schweigsame, sanftherzige Knabe nichts von alledem tat, was sie in ihrer lüsternen Erwartung sich eingebildet, so begannen sie entweder zu schimpfen – als ob sie Eintrittsgeld bezahlt hätten und darum betrogen worden wären – oder stellten die erstaunlichsten Torheiten an. Indem sie ihn fortwährend mit Fragen quälten, woher er komme, wie er heiße, wie alt er sei und ähnliches, kamen sie sich sowohl witzig wie überlegen vor. Sein flehentliches Kopfschütteln, sein ungereimtes Nein oder Ja, das wie aus Kindermund froh-bereitwillig und furchtsam zugleich klang, sein Gestotter, sein gläubiges Lauschen, alles das erregte ihr Behagen. Einige brachten ihr Gesicht ganz nah an seines und waren höchst vergnügt, wenn er vor ihren Starrblicken sichtlich bis ins Innerste erschrak. Sie befühlten seine Haare, seine Hände, seine Füße, zwangen ihn, durchs Zimmer zu spazieren, zeigten ihm Bilder, die er erklären sollte, und taten zärtlich mit ihm, während sie einander listig zuzwinkerten.
Aber die Harmlosigkeit solcher Versuche ward den unternehmenderen Geistern bald überdrüssig. Man wollte sich doch überzeugen, ob es seine Richtigkeit damit hatte, daß der Gefangene jede Nahrung außer Brot und Wasser verschmähe. Man hielt ihm Fleisch und Wurst, Honig oder Butter, Milch oder Wein vor die Nase und amüsierte sich köstlich, wenn der Knabe vor Ekel förmlich außer sich geriet.
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