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022 - Schreie aus dem Sarg

022 - Schreie aus dem Sarg

Titel: 022 - Schreie aus dem Sarg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larry Brent
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    Sie war beschwipst, als sie mit dem Glas in der Hand auf den Balkon wankte.
Aus dem riesigen Saal hinter ihr erklang das Lachen fröhlicher Menschen.
    Nanette atmete tief die milde Luft ein. Der Boden unter ihr schien sich
wellenförmig zu bewegen. Sie merkte nicht, wie sich schattengleich eine Gestalt
neben dem schweren, mit Goldfäden durchwirkten Vorhang bewegte und ungesehen
von den anderen geladenen Gästen ebenfalls auf den Balkon huschte.
    Eine Hand legte sich auf ihren Mund. Nanette wollte blitzartig herumwirbeln
und schreien – doch nur ein dumpfes Gurgeln kam über ihre Lippen. Zu schwach,
zu leise, um im Trubel des Festes gehört zu werden.
    Das Champagnerglas entglitt ihren verkrampften Fingern und fiel über die
Balkonbrüstung siebzehn Stock in die Tiefe.
    Nanette wurde von starken Armen über den Boden geschleift. Sie war unfähig,
sich zu bewegen. Die Benommenheit nahm zu, ihre Glieder wurden schwer. Die Hand
auf ihrem Mund! Sie atmete die betäubenden Dämpfe ein, die den Poren der
Handinnenfläche entströmten ...
    Die attraktive Französin wurde, ohne dass jemand etwas bemerkte, aus dem
exklusiven Hotel TONDON in Conakry, der Hauptstadt Guineas, entführt.
    Ihr regloser Körper verschwand im angrenzenden Zimmer, dessen Tür von
geheimnisvoller Hand lautlos geöffnet wurde. Fünf Minuten später transportierte
ein Afrikaner einen schweren Schrankkoffer zum Lift, der in die Tiefe rauschte.
    Dort stand ein Kombifahrzeug bereit, in das der Koffer gebracht wurde.
    Der Chauffeur bekam ein Zeichen. Sekunden später löste sich der Wagen vom
Straßenrand.
    Der Afrikaner in dem hellgrauen Anzug verharrte noch eine Zeitlang vor dem
Hinterausgang des Hotels, steckte sich langsam eine Zigarette an und ging
schließlich in das Gebäude zurück.
    Um seine wulstigen Lippen lag ein zynisches Lächeln. Nanette Luison ging
den Weg, den schon vier andere Mädchen zuvor gegangen waren.
    Es war der Weg ins Grauen ...
     
    ●
     
    Solifou Keita kehrte in die Gesellschaft zurück.
    Ein junges Mädchen, eine Afrikanerin, die dem Malinke-Stamm angehörte, aus
dem auch er hervorgegangen war, näherte sich ihm.
    »Die Gesellschaft ist nicht ganz nach Ihrem Geschmack, Solifou?«, fragte
sie ihn. Sie trug ein buntbedrucktes, unter den Armen geschlungenes
Seidenkleid. Ihre schokoladenbraunen, nackten Schultern schimmerten im Licht
der Lampen.
    Er lächelte geheimnisvoll, während er ihren Blick erwiderte. Sie war
hübsch. Den ganzen Abend schon war ihm das aufgefallen. Ihr Gesicht war rund
und ebenmäßig, wie er es liebte. Sie trug das Haar nach Sitte des Landes in
winzigkleinen Löckchen. »Ich bin mit meinen Gedanken heute woanders«,
entgegnete er leise, während er mit ihr tiefer in den Saal hineinging. Überall
standen Gruppen beisammen und plauderten. Andere aßen oder ließen sich von den
Kellnern Getränke reichen.
    Der Saal, den man durch drei bewegliche Trennwände erweitert hatte,
enthielt eine Tanzfläche und ein Podium, auf dem eine guineische Tanzgruppe
auftrat und nach den Klängen einer Cora zu singen und zu tanzen begann. Viele
der geladenen Afrikaner und Europäer näherten sich dem Podium und verfolgten
das hervorragende Spiel des Musikanten, der das schwierige, 21 Saiten starke
Instrument virtuos beherrschte. Reine, volle Klänge hallten durch den Saal, die
hohen, hellen Stimmen der Mädchen fügten sich harmonisch in die Melodienfolge,
die improvisiert war, ein. Auch Solifou Keita kam bis an den Rand des Podiums
heran. Als er diese Klänge hörte, fingen seine Augen zu glänzen an.
    »Das ist Afrika«, murmelte er. »Wie lange musste ich es vermissen.«
    Fünf Jahre lang hatte er sich außer Landes aufgehalten.
    Solifou Keita gehörte zu den Glücklichen, die in Frankreich, das hier vor
Jahren noch Kolonialmacht gewesen war, studieren durften. Er war Arzt geworden.
In Conakry arbeitete er als rechte Hand des Chefarztes eines großen
Krankenhauses.
    Solifou kannte die Europäer, er hatte auch ihre Kunst und ihre Kultur an
Ort und Stelle kennengelernt, doch es war ihm niemals gelungen, seine
afrikanische Heimat ganz zu vergessen.
    Die Mädchen wiegten sich im Rhythmus der Musik, sie sangen und tanzten.
Ihre grazilen Körper zeichneten sich unter dem weichfließenden, seidigen Stoff,
der knöchellang hinabreichte, deutlich ab.
    Beifall brandete auf, als der Musikant sein virtuoses Spiel beendete, die
Mädchen sich verneigten und zurückzogen.
    Der Gastgeber, der reiche Monsieur Lasalle, winkte jovial

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